60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
unendlichen Gleichgültigkeit auf ihn, mit einer Gleichgültigkeit, welche nur das Produkt einer wahrhaft bewundernswerten Verstellung und Selbstbeherrschung sein konnte. Dies erhöhte seinen Grimm.
„Diebin!“ donnerte er sie an.
„Spitzbube!“ antwortete sie gähnend, als ob sie sich im höchsten Grad gelangweilt fühle.
Er stampfte mit dem Fuß und rief:
„Diamantenräuberin!“
„Doppelter Mörder!“
Diese Entgegnung raubte ihm den letzten Rest seiner Gewalt über sich selbst. Er erhob den Arm und fragte:
„Weib, soll ich dich niederschlagen?“
Auch das schien sie nicht aus der Fassung zu bringen; aber in ihrer Lage verharrte sie nun doch nicht mehr, vielmehr schnellte sie mit einer blitzschnellen Bewegung aus ihrem Sessel empor und wendete sich zur Seite, um aus dem Bereich seines Arms zu kommen. Auch ihre scheinbare Gleichgültigkeit hatte sie aufgegeben. Ihre erbleichten Wangen begannen sich zu röten; um ihre fast farblos gewesenen Lippen zuckte es, und aus ihren Augen blitzte ein Haß, der demjenigen ganz gleichkam, mit welchem er sie vorhin betrachtet hatte.
„Schlagen? Ein Weib schlagen?“ fragte sie. „Das ist noch das letzte und einzige, was dir fehlt: die flegelhafte Roheit eines ungeschliffenen Menschen! Ich werde der Dienerschaft klingeln, um mich gegen derartige Angriffe zu verwahren!“
„Tu das! Die Diener sollen dann erfahren, weshalb ich dich in dieser Weise zu behandeln habe!“
„Sie werden auch das andere erfahren, nämlich, daß ich mich auf keinen Fall vor dir fürchte. Du hast vor mir nichts voraus als deine Muskelkraft und selbst diese ist nicht imstande, mich bange zu machen.“
„Das bin ich überzeugt. Ein ehrloses Weib fürchtet selbst nicht die Schande, geschlagen zu werden!“
„Pah! Rede doch ja nicht von Ehrlosigkeit! Oder willst etwa du, du, du mit Ehre prahlen?“
„Wer kann es wagen, meine Ehre anzutasten?“
„Ich!“
„Du, ja du allein, aber kein einziger anderer Mensch!“
„Ist das nicht genug?“
„Nichts, gar nichts ist es! Die Ehre ist ein öffentliches Gut; sie kann nur öffentlich angegriffen und öffentlich verloren werden!“
„Nun, so sieh zu, daß dir deine große Ehrenhaftigkeit nicht heute noch geraubt wird!“
„Willst etwa du mich ehrlos machen?“
Sie zuckte die Achseln und antwortete:
„Das soll ganz auf dich selbst ankommen. Willst du über die vorliegende Angelegenheit mit mir verhandeln, nun wohl, ich bin bereit dazu, aber ich verlange vor allen Dingen, daß du dich dabei nicht anders und besser aufspielst, als ich dich kenne!“
„Ah!“ antwortete er. „Als was kennst du mich?“
„Als Dieb, Schmuggler, Betrüger und Mörder!“
Er ballte die beiden Fäuste und machte eine Bewegung, als ob er sich auf sie stürzen wolle. Sie trat ihm furchtlos einen Schritt entgegen und rief:
„Zurück! Beherrsche dich besser, oder ich klingle, bei Gott, nach der Dienerschaft. Die Bezeichnungen, welche ich dir gegeben habe, beruhen alle auf Wahrheit!“
„Sie beruhen auf hirnverbrannten Einbildungen deines wahnsinnigen Kopfes!“
„Oh, wäre doch dein Kopf so hell wie der meinige!“
„Was wäre dann? Ich raubte Diamanten und ließe mich erwischen. Pah!“
Er ließ dabei ein ganz und gar verachtungsvolles Lachen erschallen. Sie wurde dadurch keineswegs fassungslos, sondern sie antwortete:
„Wurdest du nie auch erwischt?“
„Ah! Wann denn?“
„Bei der Ermordung deines Cousins.“
„Nur von dir! Das hat gar nichts zu bedeuten!“
„Ja, solange du mich nicht zwingst, gegen dich aufzutreten. Übrigens bin ich nicht erwischt worden, sondern man hat die Diamanten bei mir gefunden. Was beweist das?“
„Daß du die Diebin bist!“
„Oh, es gibt Personen, welche bei mir Zutritt haben. Der Dieb hat geglaubt, daß ein Versteck bei mir mehr Sicherheit bietet als ein solches an irgendeinem anderen Ort.“
„Da könntest du nur deine Zofe meinen!“
„Nun, wenn das wirklich wäre?“
„So könnte diese Zofe beweisen, daß sie gestern abend stets zu Hause war, jedenfalls aber nicht bei dem Fürsten von Befour, während grad du dich zur betreffenden Zeit bei demselben befunden hast.“
„Und dennoch brauche ich mich nicht zu ergeben. Haben die Diamanten wirklich bei mir gesteckt?“
„Ich selbst muß es bezeugen!“
„Wo befanden sie sich?“
„Im Innern deiner Uhrkonsole.“
„Und doch kannst du falsch gesehen haben. Wer hat die Konsole ab- und die Steine herausgenommen? Etwa du?“
„Nein,
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