60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
um Mitternacht.“
Er erzählte die Ursache, die ihn bewogen hatte, den Baron aufzusuchen, um ihn zu warnen, er sagte auch, wie er ihn gefunden, und welche Antwort er von ihm erhalten hatte.
„Rasieren Sie sich selbst?“ fragte da der Richter.
Brandt blickte bei dieser sonderbaren Frage erstaunt auf.
„Ja“, antwortete er ruhig.
„Wo haben Sie Ihr Rasiermesser?“
„Im Forsthaus. Ich brachte das Besteck gestern mit. Ich nehme es auf jede Reise mit. Darf ich vielleicht fragen, in welcher Verbindung mein Rasiermesser mit der Erschießung des Hauptmanns von Hellenbach steht?“
„Sie sollen es erfahren. Hier ist der Schlüssel, welcher bei Ihnen gefunden wurde. Nehmen Sie ihn, und folgen Sie uns.“
Er wurde vor das Zimmer des Barons geführt. Es war vorhin natürlich wieder verschlossen worden.
„Öffnen Sie!“ meinte der Amtmann.
„Womit? Mit diesem Schlüssel?“ fragte Brandt.
„Ich denke, daß Sie wissen werden, zu welchem Schloß er gehört, Herr Brandt!“
„Bei Gott, ich habe keine Ahnung davon!“
„Nun, schließen Sie nur auf!“
Er öffnete. Aller Augen waren dabei scharf auf ihn gerichtet. Er blickte in das Zimmer, und ein lauter, fürchterlicher Schrei entfuhr seinen Lippen. Das Entsetzen, welches auf seinem Gesicht lag, war ein wahres. Der Richter hätte jetzt auf die Unschuld des Angeklagten schwören mögen.
„Herr, mein Heiland!“ rief Brandt. „Das ist ja der Baron! Tot, oder wohl gar ermordet!“
„Treten Sie ein!“ gebot der Amtmann.
Jetzt erst, als er sich in dem Zimmer befand, sah Brandt den fürchterlichen Schnitt am Hals des Toten.
„Gott! Gott!“ sagte er zusammenschaudernd. „Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten! Ihm, meinem Wohltäter, meinem zweiten Vater! Meine Herren, wer hat das getan?“
„Das wissen Sie nicht?“
„Ich? Wie soll ich es wissen?“
„Sie waren ja zur Stunde seines Todes bei ihm!“
Brandt sah den Sprecher mit starren Blicken an.
„Mein Herr“, sagte er, „ich will nicht hoffen, daß Sie mich für den Mörder aller Welt halten! Herr Gerichtsarzt, Sie haben die Leiche jedenfalls untersucht. Seit wann ist der Baron tot?“
„Seit letzter Mitternacht.“
„Also seit kurz nach meinem Fortgang! Ich wollte ihn warnen, aber er glaubte mir nicht und wies mir die Tür. Nun haben sie ihn doch getötet!“
„Sie meinen die beiden Schmuggler?“
„Ja.“
„Sie irren. Wie sollten diese Eingang gefunden haben?“
„Gibt es keine Spur hierüber?“
„Die brauchen wir nicht. Der Mörder ist bereits entdeckt.“
„Ah! Wer ist es?“
„Er nahm nach vollbrachter Tat den Zimmerschlüssel mit, um den Eintritt zu verwehren, damit die Tat nicht zu früh entdeckt werde. Dieser Schlüssel wurde in Ihrer Tasche gefunden.“
Brandt wußte nicht, was er antworten sollte. In seinem Kopf wirbelte es wie von lauter Rädern.
„Meine Herren“, sagte er, „ich weiß von diesem Schlüssel nichts. Er muß mir heimlich in die Tasche gesteckt worden sein.“
„So! Eigentümlich. Ahnen Sie vielleicht, mit was für einem Instrument dieser gräßliche Schnitt vollbracht wurde?“
„Mit einem sehr scharfen, vielleicht mit einem Rasiermesser.“
„Richtig! Der Mörder hat die Unvorsichtigkeit begangen, das Rasiermesser hier liegen zu lassen. Hier ist es. Kennen Sie es?“
Er hielt ihm das Messer vor die Augen. Brandt taumelte förmlich zurück. Er schlug die Hände zusammen und rief:
„Das ist das meinige! Wie kommt es hierher?“
„Sie müssen das besser wissen als wir!“
Da sammelte er sich. Das war zu viel, zu viel. Er kniete neben dem Toten nieder, legte ihm die eine Hand auf das Herz, erhob die andere und sagte:
„Meine Herren, ich schwöre, daß ich weder der Mörder des Hauptmanns von Hellenbach noch dieses edlen Mannes bin. Wenn ich hiermit die Unwahrheit sage, so mag Gott mich richten in diesem Augenblick und für alle Ewigkeit. Der Schein ist gegen mich. Ich weiß nicht, wie der Schlüssel in meine Tasche und das Messer in dieses Zimmer kommt. Beurteilen Sie den Fall nicht nach den jetzt vorliegenden Indizien, sondern helfen Sie mir suchen, den wirklichen Täter zu entdecken. Ich beschwöre Sie bei Gott und allem, was Ihnen lieb und heilig ist, mich nicht für den Schuldigen zu halten!“
Seine Worte hatten einen tiefen Eindruck gemacht.
„Ich möchte so gern glauben, was Sie sagen“, meinte der Amtmann, „aber es ist nicht mehr als alles gegen Sie!“
„O nein; es ist nur eins oder vielmehr nur einer gegen
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