60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
ermordet?“
„Der Herr Baron und der Hauptmann von Hellenbach.“
Der Monarch blickte dem jungen Mann scharf in die Augen.
„Das ist ein großes Unglück!“ sagte er. „Mein treuer Helfenstein tot, gefallen unter Mörderhand. Wo starb er?“
„Er liegt in seinem Zimmer.“
„Und der Hauptmann?“
„Da unten im Wald, unweit der Tannenschlucht.“
„Wohin bringt man Sie jetzt?“
„An den Tatort.“
„Ich gehe mit. Meine Herren, kommen Sie!“
Den Gefangenen, welcher vor Scham tief in die Erde hätte versinken mögen, voran, setzte sich der Zug in Bewegung. Die Herren der Kommission staunten nicht wenig, als sie den Monarchen und sein hohes Gefolge erblickten. Der König schaute außerordentlich ernst, ja finster drein. Er befahl den Amtmann zu sich, trat mit diesem auf die Seite und ließ sich Bericht erstatten. Eben als der Amtmann zu Ende war, ließen sich nahende, fast stürmisch eilige Schritte hören. Der Förster nahte.
Er hatte im Wald zu tun gehabt und auf dem Heimweg im Dorf erfahren, was geschehen war und daß sein Sohn des Doppelmordes angeklagt sei. Er war im Dauerlauf herbeigekommen und drängte sich fast atemlos durch die Menge. Er sah seinen Sohn in Fesseln, er sah alle die anderen, auch den König; aber er beachtete sie alle nicht, sondern er wendete sich direkt an den Amtmann:
„Herr Richter“, sagte er, „mein Sohn soll zwei Menschen ermordet haben, hinterrücks ermordet?“
„Regen Sie sich nicht auf, Herr Förster“, bat der Angeredete, „ich gebe Ihnen die Versicherung, daß –“
„Geben? Eine Versicherung geben? Ich brauche sie nicht. Ich will wissen, ob der Junge ein Mörder ist oder nicht!“
„Die Untersuchung wird das resultieren.“
„Die Untersuchung? Ja, die wollen wir sogleich beginnen!“
Er trat zur Leiche des Hauptmannes und untersuchte sie. Dann wendete er sich an seinen Sohn. Sein Gesicht war kalt, fast gefühllos zu nennen.
„Erzähle!“ gebot er.
Da trat der Amtmann herbei und sagte:
„Mein lieber Herr Brandt, die Untersuchung zu führen ist meines Amtes. Sie dürfen überzeugt sein, daß –“
Der Förster unterbrach ihn durch eine rasche Handbewegung und sagte, beinahe aufbrausend:
„Überzeugt? Wovon wollen Sie mich überzeugen? Ich kann mich schon selbst überzeugen!“ Und sich direkt an den Monarchen wendend, fragte er: „Königliche Majestät, ist es mir erlaubt, mit meinem Sohne zu sprechen?“
Es war ein sonderbarer Fall, ein Ausnahmefall; aber der Monarch kannte den alten Ehrenmann und nickte ihm Gewährung zu. Dann fragte der Förster seinen Sohn:
„Hier an der Stelle, an welcher er liegt, hat ihn die Kugel getroffen?“
„Ja“, antwortete Gustav. „Zwei Kugeln sind es gewesen.“
„Pah! Dann wird mir das Herz leicht. Du bist der Mörder nicht, denn bei dir hätte es eine Kugel getan. Wo sind sie hergekommen?“
„Von hier heraus.“
„Wo warst du?“
„Ich stand hier neben ihm. Er hatte mich gestern beleidigt. Wir trafen uns hier; er war zur Einsicht gekommen und bat mir die Beleidigung ab. Da kamen die Kugeln.“
„So hat einer geschossen, dem an eurer Aussöhnung nichts gelegen war, oder der gerade das, worüber ihr euch veruneinigt, auch gern haben wollte. Erzähle!“
Gustav erstattete so ausführlich Bericht, wie es ihm möglich war. Als er geendet hatte, blieb selbst dem Amtmann nichts zu fragen übrig. Der alte Forstmann aber sagte:
„Junge, tritt einmal her zu mir! So, gerade vor mich her! Nun guck mir in die Augen! Fest, ruhig und offen! Ah, du kannst es ja noch! Du schlägst die Augen nicht nieder! Du bist unschuldig! Dein Vater kennt dich! Hättest du nur mit der Wimper gezuckt, so wärest du der Mörder, und ich hätte selbst die Gerechtigkeit geübt, hier und sofort. Siehst du, da mit der Doppelbüchse: Eine Kugel für dich und eine für mich. Dann wäre es schnell aus mit uns und mit der Schande. Da du aber unschuldig bist, so gehe mit Gott. Sie führen dich in das Gefängnis; aber das tut nichts! In unserem Land gibt es einen guten König und gerechte Richter, und über uns wacht der liebe Gott, und dein alter Vater und deine alte Mutter werden für dich beten!“
ZWEITES KAPITEL
Die Flucht
Monate waren vergangen; der Winter war gekommen und hatte dem Frühling weichen müssen. Dennoch war vieles nicht anders geworden. Der Gerichtsarzt hatte recht gehabt. Alma war einem sehr gefährlichen und langwierigen Fieber verfallen, und da sie in dem Prozesse gegen Brandt die Hauptzeugin
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