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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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angesehen. Dann hatte Marie ihm die Hand hingehalten und gesagt:
    „Laß ihn, lieber Robert! Dieser Heuchler ist nicht wert, daß wir nur an ihn denken, viel weniger aber uns über ihn ärgern!“
    „So denkst du als Mädchen! Er hat uns fürchterlich beleidigt!“
    „Vergiß das für heute! Komm, setz dich; wir wollen weiterarbeiten!“
    Er antwortete nicht. Es stürmte in ihm. Um sich zu beruhigen, schritt er einige Male im Zimmer auf und ab. Dann, als er, sich die Hände reibend, wieder zur Feder greifen wollte, zupfte ihn jemand am Rockschöße. Er drehte sich um. Es war ein kleines Schwesterchen.
    „Lieber Robert, gib mir ein Stückchen Brot!“ bat es schluchzend. „Ich kann es nicht mehr aushalten. Es tut so weh dahier!“
    Dabei legte das Kind das Händchen auf den Leib.
    Er stand wieder von seinem Stuhl auf. Er wollte sich beherrschen, brach aber doch in ein lautes Schluchzen aus. Als das die Kleinen hörten, stimmten sie weinend ein. Dazu fiel der Kranke in ein Husten, welches ihn zu zersprengen drohte.
    „Marie, es geht nicht; es geht wirklich nicht!“ sagte Robert. „Die Geschwister können nicht bis morgen warten!“
    „Aber wie wollen wir helfen?“ fragte sie unter Tränen.
    „Ich weiß es, und ich tue es!“
    Bei diesen Worten ging er zum Koffer, um ihn zu öffnen. Sie eilte ihm nach und ergriff ihn beim Arme.
    „Du meinst deine Kette? Nein, die darfst du nicht verkaufen. Sie ist das einzige, was du von deinen Eltern hast. Nur durch die Kette kann es dir einmal gelingen, sie zu finden.“
    „Ich werde sie nicht verkaufen, sondern nur versetzen.“
    „Und wenn du sie dann nicht einlösen kannst?“
    „Das will ich doch nicht hoffen!“
    Da trat sie näher zu ihm heran, legte den Arm um ihn, blickte bittend zu ihm empor und fragte:
    „Möchtest du es denn nicht noch einmal wagen, lieber Robert – ja?“
    „Was?“ fragte er.
    „Zum Buchhändler zu gehen?“
    „Mein Gott! Es geht nicht! Ich mußte bereits das letzte Mal tief gedemütigt das Lokal verlassen.“
    „Aber dennoch noch einmal! Bitte, bitte! Mir zuliebe!“
    Er blickte auf sie nieder, sah in ihre tränenumflorten, flehenden Augen und konnte nicht widerstehen.
    „Nicht wahr, liebe Marie, auch du hast recht großen Hunger?“ fragte er.
    „Du nicht?“
    „Sehr, sehr!“
    „Und ich auch“, gestand sie.
    Dabei legte sie ihr Köpfchen an seine Brust und weinte bitterlich, so bitterlich, wie er es gar nicht für möglich gehalten hätte, daß ein Mensch weinen könne. Er zog sie an sich, küßte ihr die Tränen von den Augen und sagte:
    „Sei ruhig, Marie! Du sollst essen, du und ihr alle. Ich gehe zum Buchhändler.“
    „Und wenn er dich wieder fortschickt?“
    „Nun, ich nehme die Kette mit. Brot muß ich bringen. Erhalte ich dort nichts, so gehe ich doch noch zum Pfandleiher.“
    „So tue es, o Gott, es ist das einzige, was du besitzt. Wenn die Kleinen es doch bis morgen aushalten könnten, wo wir dann Geld haben! Aber es geht nicht! Und der arme Vater hat auch nichts, weder Medizin noch Essen.“
    „Du siehst also ein, daß ich unbedingt Rat schaffen muß!“
    „Ja. Aber verleihe die Kette nur nicht zu teuer, sonst wird uns das Einlösen zu schwer.“
    „Keine Sorge! Diese Juden geben selbst gern wenig!“
    Er öffnete den Koffer. Dieser enthielt einige Wäschestücke. Dabei lag ein kleines Kästchen, in welchem sich der Gegenstand ihrer Sorge und zugleich ihrer Hoffnung befand. Es war ein dünnes, außerordentlich minutiös gehaltenes Halskettchen von altmodischer Arbeit. In der Mitte hing ein Herz mit einer Freiherrnkrone und den drei Buchstaben R.v.H. Aber was verstand Robert von Heraldik und von dem Unterschied der Kronen! Er steckte das Kästchen zu sich, setzte ein dünnes, abgeschabtes Studentenmützchen auf und ging.
    „Holst du Brot? Bring recht viel!“ riefen ihm die kleinen Geschwister nach.
    Drunten packte ihn die Kälte mit grimmigen Armen. Er hüllte sich so viel wie möglich in sein kurzes Röckchen und schlug einen Trab an, um sich möglichst zu erwärmen. Durch Gäßchen, Gassen und Straßen kam er und endlich an einen offenen Platz, welcher voller Buben stand. Die Häuser, welche ihn umgaben, waren wahre Paläste. Laden glänzte da an Laden. Er schritt zaghaft auf einen derselben zu. Der Inhaber desselben war ein Kunst- und Verlagshändler.
    Die hohen, breiten Fenster waren mit wertvollen Gemälden und Kupferstichen belegt, und dazwischen erblickte man die hervorragendsten Erzeugnisse der

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