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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sie?“
    „Schriftsteller.“
    „Was wollten Sie hier im Laden?“
    „Einen kleinen Vorschuß, ich soll den zweiten Band schreiben.“
    „Sie haben schon einen ersten Band geschrieben?“
    „Ja.“
    „Was?“
    „Gedichte.“
    „Ah, das ist allerdings nicht einträglich. Wollen Sie mir Ihren Namen und ihre Wohnung mitteilen?“
    „Robert Bertram, Wasserstraße elf, drei Treppen.“
    „Drei? Ja, Dichter pflegen hoch zu wohnen, zumal wenn sie noch so jung sind wie Sie. Bitte, nehmen Sie.“
    Er drückte dem jungen Manne aus seiner Börse etwas in die Hand und trat dann in den Laden zurück, so daß Robert gar keine Zeit zum Dank fand. Er warf einen Blick auf das Empfangene. Es waren zwei Louisdor.
    Da war mit einem Schlag alle Schwachheit verschwunden. Er fühlte sich so wohl und kräftig, daß er es mit einem Riesen hätte aufnehmen mögen. Er dachte gar nicht daran, die Rückkehr des edlen Gebers abzuwarten, sondern er eilte, sofort die Einkäufe zu machen, welche nötig waren, um zunächst die dringendsten Bedürfnisse der Seinigen zu befriedigen.
    Als er nach Hause kam, fielen die Kleinen über ihn her, der Vater und Marie weinten vor Freude. Als der Hunger gestillt war, mußte er erzählen. Dann fragte Marie:
    „Also die Kette ist gerettet?“
    „Ja, Gott sei Denk!“
    „Und wer war der fremde Herr?“
    „Es war – ah, das weiß ich nicht! Ich habe ihn nicht gefragt, ja ich glaube, daß ich mich sogar nicht einmal bei ihm bedankt habe. Ich war ganz von Sinnen vor Hunger und Beschämung.“ –
    Jener Herr ließ die Bücher, welche er eingekauft hatte, in seinen Schlitten legen und stieg selbst auch ein.
    „Oberst von Hellenbach“, befahl er dann.
    Der Schlitten sauste davon und hielt vor einem Haus, dessen erste Etage festlich erleuchtet war. Die Straße, zu welcher es gehörte, lag vor der Wasserstraße, mit welcher sie parallel ging, so daß die Gärten beider aneinander stießen.
    „Mich nicht abholen!“
    Mit diesem Befehl stieg der Fremde aus und trat ein. Droben kamen ihm mehrere Diener entgegen, welche ihm Hut und Pelz abnahmen. Als sie den Pelz erblickten, machten sie Gesichter, in denen sich das Erstaunen mit der tiefsten Ehrerbietung paarte. Es war ein Zobelpelz, wie ihn kaum der russische Zar kostbarer tragen kann.
    „Wen befehlen der Herr, zu melden?“ fragte der eine der Domestiken.
    „Fürst von Befour.“
    Im nächsten Augenblick erschallte der Name in den Saal, und die Augen aller dort Anwesenden flogen nach der Tür.
    Also, er kam doch, der rätselhafte Mann! Da brauchte man nicht bang zu sein, daß das Rätsel gelöst sein werde.
    Der Herr des Hauses eilte ihm entgegen, um ihn zu seiner Dame zu bringen. Natürlich fand sich auch sofort die Tochter der beiden ein. Es war das diejenige, von welcher Helfenstein mit seiner Frau gesprochen hatte.
    Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.
    Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen um so mehr von dem anderen ab.
    Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Mund zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrument nötigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Mund folgendes Lied:
    „Es glänzt der helle Tränentau
In deinem Aug, dem todesmatten;
Du sehnst dich nach des Himmels Blau
Hinaus aus düstrem Waldesschatten.
Es rauscht der Bach am Felsenspalt
Sein melancholisch Lied:
Hier ist's so eng, hier ist's so kalt,
Wo nie der Nebel flieht!
Du meine süße Himmelslust
O traure nicht, und laß das Weinen!
Dir soll ja stets an treuer Brust
Die Sonne meiner Liebe

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