Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
mich beauftragt, den Fall zu untersuchen. Ich finde keineswegs, daß Sie noch unterstützungsbedürftig sind. Sie lesen Liebeslieder, noch dazu von einem Türken, denn der Verfasser heißt Hadschi Omanah, ein mohammedanischer Name; Sie schreiben sogar die Liebeslieder eines Menschen ab, welcher als Hochverräter landesflüchtig werden mußte; die ganze Familie lebt und schläft in einer unzüchtigen Gemeinschaft durcheinander; ich werde mit Stolz und –“
    „Herr Seidelmann, sind Sie fertig?“ rief Robert drohend, indem er auf ihn zutrat.
    „Jawohl!“ antwortete der Gefragte, sich furchtsam zurückziehend. „Die Unterstützung erhalten Sie nicht, und wenn bis morgen abend die Miete nicht bezahlt ist, werden Sie auf die Straße geworfen, Sie Primaner in Liebesliedern!“
    Damit verließ er in höchster Eile die Wohnung.
    Während er die Treppe hinabschritt, vernahm er unten im Parterre einen lebhaften Wortwechsel. Er blieb unten auf der letzten Stufe stehen, um zu lauschen.
    Da unten gab es nämlich nicht weniger Armut als oben im dritten Stockwerk. In einem naßkalten Lokal wohnte ein Holzhacker mit seiner Frau, welche lange Jahre für die Leute gewaschen hatte, jetzt aber an der Gicht so darnieder lag, daß sie die Extremitäten kaum mehr bewegen konnte. Dazu war das große Unglück gekommen, daß der Mann sich in das Bein gehackt hatte und nun auch nichts zu verdienen vermochte. Die Wunde heilte schwer zu, um die jetzige Jahreszeit um so schwerer; gelebt wollte sein, so kam es, daß der Hunger bald der Gast der sonst braven Familie wurde.
    Die Miete konnte nicht bezahlt werden. Der Vorsteher als Armenpfleger versicherte stets, daß erst noch andere zu versorgen seien, und hatte ihnen nur den Vorschlag machen können, ihre Sorgen dadurch zu erleichtern, daß er ihnen den einen ihrer zwei Knaben abnehmen wollte.
    Das war ein Bild von einem Jungen. Ein fremder Herr, der ihn – scheinbar zufällig – gesehen hatte, war ganz närrisch auf ihn gewesen. Die Eltern konnten sich nicht von ihm trennen.
    In letzter Zeit war die Not so groß geworden, daß der Mann sich hingesetzt und Hampelmänner geschnitzt hatte, welche sein ältestes Töchterchen auf dem Christmarkt verkaufen sollte. Heute nun saßen sie und lauerten mit Schmerzen auf die Heimkehr der Kleinen. Ein paar Pfennige brachte sie doch wohl mit!
    Da endlich ging die Tür auf, und sie kam; aber hinter ihr erschien die Gestalt eines Polizisten. Die Eltern erschraken, und die Kinder versteckten sich.
    „Wohnt hier der Holzhacker Schubert?“ fragte der Polizist.
    „Ja“, wurde ihm geantwortet.
    „Dieses Mädchen ist Eure Tochter?“
    „Ja, meine Älteste.“
    „Ihr habt sie auf den Markt betteln geschickt!“
    „Nein, Herr. Das ist mir nicht eingefallen! Sie hat nur einige Hampelmänner verkaufen sollen.“
    „Das mach doch nur uns nicht weis! Sie hat gebettelt; sie muß da eine ungeheure Gewandtheit besitzen, denn sie hat volle drei Taler zusammengefochten. Darum wurde sie arretiert. Das Geld und die famosen Hampelmänner sind natürlich konfisziert worden. Die kleine Landstreicherin, die übrigens ganz frech geleugnet hat, daß sie betteln kann, bringe ich Euch hiermit; die Strafverfügung aber erhaltet Ihr morgen.“
    Er entfernte sich. Die Eltern hatten ihm gar nicht zu antworten vermocht, so starr waren sie vor Schreck und Erstaunen. Sie fragten das Kind, welches weinend alles erzählte. Sie hätten gern die Karte gehabt, auf welcher der Name der Wohltäterin gestanden hatte, aber die war dem Kind, als es von dem Polizisten so scharf angeredet wurde, aus der Hand gefallen.
    Da trat Herr Seidelmann ein. Er grüßte nach seiner Weise und sagte dann im Ton des Beileids:
    „Ich begegnete einem Polizisten, welcher bei Euch gewesen ist. Was ist denn geschehen?“
    Der Holzhacker erzählte ihm alles.
    „Das habt Ihr davon“, meinte der Fromme, „daß Ihr den Rat Eures Seelsorgers verachtet. Hättet Ihr mir den Knaben überlassen. Der Künstler, welcher ihn wieder zu einem Künstler erziehen wollte, hätte Euch zehn Taler geschenkt, und Ihr hättet nicht nötig gehabt, das Mädchen auf den Markt zu, schicken.“
    „Zehn Taler?“ fragte die Waschfrau. „Höre, Mann!“
    „Zehn Taler?“ wiederholte der Holzhacker. „Davon haben Sie uns gar nichts gesagt!“
    „So habt Ihr es überhört. Nun kommt morgen die Polizeistrafe, die Ihr zahlen müßt, wenn Ihr nicht sofort ausgepfändet werden wollt, der Mietzins dazu – hm!“
    Er griff in die

Weitere Kostenlose Bücher