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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Literatur.
    Trotz seines Hungers hätte Robert es doch vielleicht nicht gewagt, in den glänzenden Laden zu treten; aber da fiel sein Blick auf einen ausliegenden Saffianband, auf welchem ebenso zu lesen war ‚Heimats-, Tropen- und Wüstenbilder. Gedichte von Hadschi Omanah‘. Das gab ihm Mut. Er öffnete die Tür und trat ein.
    Der Laden war voller Menschen. Der mehr als anspruchslos gekleidete Jüngling wurde zunächst gar nicht bemerkt; endlich aber fragte einer der Diener, was er wünsche, und er antwortete, daß er mit dem Prinzipal zu sprechen begehre. Dieser befand sich im Hintergrund des Ladens und kam herbei.
    Als er Robert erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht.
    „Was wünschen Sie, Herr Bertram?“ fragte er von oben herab.
    „Ich befinde mich in einer Lage, welche mir gebietet, meine Bitte nochmals zu wiederholen.“
    „Welche Bitte war das?“
    „Ich leide buchstäblich Hunger, mein Herr. Ich bin kein Bettler; aber ich möchte Sie doch fragen, ob mein Werk Ihnen nicht so viel trägt, daß Sie sich zu einem kleinen Nachtrag zum Honorar verstehen könnten.“
    „Ganz und gar nicht! Ihr Werk bringt mir gar nichts ein. Bis jetzt habe ich nur zugesetzt. Wieviel zahlte ich Ihnen für das Manuskript?“
    „Zwanzig Taler.“
    „Nun, sehen Sie! Das ist mehr als reichlich für die Gedichtsammlung eines Anfängers. Das Honorar ist dennoch das wenigste, was man zahlt. Papier, Druck, Satz und anderes, das läuft sogleich in die Tausende. Haben Sie nicht einen zweiten Band?“
    „Oh, wie gern würde ich ihn liefern! Aber ich muß nach Brot arbeiten, nach dem trockenen Brot! Hätte ich einen kleinen Zuschuß zum ersten oder Vorschuß zum zweiten Band, so würde mir das Schreiben wenigstens nicht zu einer so absoluten Unmöglichkeit wie jetzt.“
    „Junger Mann, das Genie verkommt im Glück. Nur im Ringen, im Kampf mit dem Leben erstarkt es und kommt zu Kräften. Ich kenne das; ich habe mit so sehr viel Talenten und Genies zu tun. Wollte ich Ihnen Geld zahlen, so wäre das eine Beleidigung Ihres Genies.“
    „Aber eine Rettung für meinen Körper, ohne welchen das Genie ein Nichts ist.“
    „Sie nehmen die Sache zu drastisch. Ringen Sie, ringen Sie; kämpfen Sie; dann werden Sie ein Held der Feder, eher aber nicht. Gott soll mich behüten, meine Mitarbeiter zu verwöhnen! Es würde bald kein Talent mehr geben. Übrigens sehen Sie, daß ich außerordentlich beschäftigt bin. Kommen Sie wieder, wenn der zweite Band fertig ist, eher aber nicht. Ich werde das Manuskript dann innerhalb eines Vierteljahres durchlesen, und wenn es mir gefällt, so zahle ich Ihnen vielleicht fünfundzwanzig anstatt zwanzig Taler. Für jetzt aber – habe die Ehre, Herr Bertram!“
    Er drehte sich um und verschwand. Robert stand mitten unter den zahlreichen Anwesenden wie von Gott verlassen. Es war ihm, als sei er nun einmal partout zum Hungertod verdammt.
    Draußen hatte ein Schlitten gehalten. Ein Herr stieg aus und trat ein. Er hatte etwas so Hochvornehmes an sich, daß sich aller Augen auf ihn richteten; selbst der Chef eilte herbei, um nach seinen Wünschen zu fragen. Dabei fiel sein Blick auf Robert, welcher noch immer dastand und mit sich zu Rate ging, ob er nicht vielleicht einen letzten Angriff versuchen solle. Dem Chef war die Anwesenheit des so ärmlich Gekleideten unangenehm.
    „Wollen Sie sonst noch etwas?“ rief er ihm mit scharfer, ärgerlicher Stimme zu.
    „Etwas anderes nicht“, antwortete Robert stockend, indem er einige Schritte näher trat. „Aber dennoch möchte ich mir die ganz gehorsamste Bitte um –“
    „Schon gut, schon gut!“ wurde er unterbrochen. „Ich habe Ihnen bereits angedeutet, daß ich für Sie kein Geld habe. Entfernen Sie sich gefälligst.“
    Das war stark; das war mehr als stark; das war sogar niederträchtig. Aller Augen richteten sich auf Robert. Diesem war es, als müsse er vor Scham in die Erde sinken. Er griff unwillkürlich mit den Händen um sich, als wolle er nach einer Stütze suchen. Er wankte. Da trat der fremde Herr herbei, welcher zuletzt hereingekommen war, legte den Arm um seine Schulter und sagte:
    „Sie fallen ja um, junger Mann! Was haben Sie?“
    „Hunger!“ antwortete Robert mit leiser Stimme und mehr instinktiv als mit Überlegung.
    „Hunger? Mein Gott! Kommen Sie heraus!“
    Er geleitete ihn bis vor die Türe, wo er mit ihm stehenblieb.
    „Ist es wahr, daß Sie hungern?“
    „O sehr!“
    „Hält man das für möglich! Was sind

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