60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
eine dieser Steine war ringsum vom Mörtel befreit, also locker. Mit Hilfe des Messers gelang es dem Baron leicht, ihn herauszubringen. Dann langte er in die Öffnung und zog drei spitze Eisen hervor, welche die Form von Meißeln hatten. An derselben Stelle der Mauer gab es drei Löcher, in welche die Eisen eingeschoben werden konnten, sodaß sie vielleicht sechs Zoll weit hervorstanden. Da sie in gleichen Abständen übereinander in die Mauer gesteckt waren, konnten sie dem Baron als Stufen dienen. Er stieg an ihnen empor, zog sie unter sich wieder heraus und bediente sich auf der anderen Seite ihrer ganz in derselben Weise.
So gelangte er in einen großen Garten, welcher schon mehr ein verwilderter Park zu sein schien. Er schlich leise aber doch eiligen Schrittes zwischen den Bäumen dahin, bis er an die hintere Seite eines finsteren Hauses gelangte, welches mitten in dem Garten stand. Hier ging eine steinerne Freitreppe empor. Zu beiden Seiten derselben gab es hart am Boden ein Fenster, welches zur Kellerei zu gehören schien. Das eine derselben war nur angelehnt. Der Baron schob es auf, stieg ein, machte es wieder zu und befand sich nun in einem dunklen Raum, den er sehr gut zu kennen schien, denn er schritt, ohne Leuchte zu bedürfen, weiter und immer weiter.
Er gelangte schließlich an einige schmale Stufen, stieg zwei derselben empor und stieß nun mit dem Kopf an ein bretternes Hindernis, an welchem sich ein Riegel befand. Er schob den Riegel zurück und auch die Bretter beiseite, aber leise, ganz leise, als ob er befürchte, daß jemand das Geräusch hören könne.
Ein Lichtschein drang von oben herein. Er zog die Maske aus der Tasche und befestigte sie vor seinem Gesicht; dann stieg er sehr langsam weiter empor.
Der hölzerne Boden, welchen er zur Seite geschoben hatte, war der Boden einer Art von Lehrkatheder, hinter welchem und zwischen dessen Seitenteilen ein Stuhl stand. Auf dem Katheder lag eine silberne Klingel.
Als die letzte Stufe emporgestiegen war, steckte er in kauernder Stellung hinter dem Katheder, so daß er nicht gesehen werden konnte. Dann schob er den Boden leise wieder zurück und richtete sich rasch empor. Er befand sich in einem gewölbtem Raum, in welchem Tische und Stühle standen. An diesen Tischen saßen gegen dreißig verhüllte und maskierte Personen, alle mit dem Rücken nach dem Katheder. Keiner sprach mit dem anderen, es herrschte eine tiefe Stille. Eine einzige, von der Decke herabhängende Lampe erhellte den Raum.
Er setzte sich auf den Stuhl, ergriff die Klingel und ließ sie ertönen. Sofort erhoben sich alle, drehten sich zu ihm herum und verbeugten sich stumm und tief vor ihm. Dann setzten sie sich wieder nieder, jetzt aber mit den maskierten Gesichtern nach ihm gewendet. Er winkte. Einer erhob sich, kam herbei und legte flüsternd seinen Rapport ab. Er erhielt in demselben Flüsterton seine neuen Befehle und entfernte sich aus dem Gewölbe.
Der zweite kam, dann der dritte, vierte und fünfte. Bei jedem wurde der gleiche Modus befolgt, sodaß keiner der anderen ein Wort zu hören vermochte. Ein jeder verließ sofort nach seiner Abfertigung den Raum, und nur einige erhielten den Befehl, zurückzubleiben. Als die anderen alle sich entfernt hatten, begann der Baron mit etwas gehobener Stimme zu sprechen. Er wendete sich an den einen:
„Du warst heute bei dem Schließer?“
„Ja, Hauptmann, ich habe ihn gewarnt.“
„Er ist in die Falle gegangen. Wie steht es mit dem Schreiber Robert Bertram?“
„Er wird mir morgen abend die Noten bringen.“
„Du gibst ihm aber kein Geld.“
„Ich bin nicht zu Hause; der Wirt mag die Noten empfangen.“
„Die Schwester des Schreibers?“
„Sie wird ebenso morgen abend ihre Stickerei abliefern.“
„Wie hast du die Sache arrangiert?“
„Eines der Mädchen im Geschäft ist meine Geliebte.“
„Ah! Klug! Aber wie fängt diese es an, um zu erreichen, daß diese Marie Bertram ihren Lohn nicht erhält?“
„Meine Geliebte wird die Stickerei in Empfang nehmen, um sie der Prinzipalin vorzulegen. Ich bin überzeugt, daß dabei auf der Arbeit ein Fettfleck oder so etwas Ähnliches entstehen wird.“
„Schön. Du arbeitest immer mit einem lobenswerten Scharfsinn und Eifer. Ich werde dir eine Extragratifikation ansetzen. Für heute wißt ihr, um was es sich handelt?“
„Ja“, antworteten alle.
„Sind die Schlüssel fertig?“
„Ja, hier“, antwortete einer.
Er griff in die Tasche und übergab dem Hauptmann
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