60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
handeln dürfen.“
Der Mann blickte rasch auf.
„Handelt es sich etwa um einen Gefangenen?“ fragte er.
„Ja.“
„Da kann ich leider auch nichts für Sie tun!“
„Und ich also auch leider nichts für Sie!“
Der Baron drehte sich um, als wenn er die Stube verlassen wolle. Da wurde es dem Schließer angst. Er fragte rasch:
„Was verlangen Sie? Ist es sehr gefährlich?“
„Gefährlich gar nicht.“
„Nun, so ist es möglich, daß ich es tue. Wünschen Sie vielleicht, daß ich eine Botschaft oder einen Brief besorge?“
„Das nicht“, lächelte der Baron. „Es handelt sich denn doch um etwas anderes. Sie haben nämlich einen Gefangenen in Ihrer Obhut, welcher unschuldig ist. Seine Unschuld ist aber nur dann zu beweisen, wenn ich auf Ihre Hilfe rechnen kann.“
„Wenn es so ist, so würde sich die Gefälligkeit, welche Sie fordern, wohl auch mit meinem Gewissen in Einklang bringen.“
„Ganz gewiß. Wie lange haben Sie jetzt noch Zeit?“
„Ich habe keine Uhr. Auch sie wurde versetzt. Ich habe eine Stunde für das Abendbrot. Drei Viertelstunden werden bereits vergangen sein. In fünfzehn Minuten muß ich eintreffen.“
„Das ist genug, um uns zu besprechen und einen Entschluß zu fassen. Bleiben Sie die Nacht über im Gefängnis?“
„Ja. Ich habe heut die Wache.“
„So geht es leicht. Würden Sie mir von Mitternacht an bis ungefähr gegen drei Uhr einen Ihrer Gefangenen anvertrauen?“
Der Schließer erschrak.
„Herr, das ist die reine Unmöglichkeit!“ sagte er.
„Nicht so unmöglich wie Sie denken. Vergegenwärtigen Sie sich Ihre Lage. Morgen Vormittag nimmt man Sie wegen Unterschlagung gefangen. Das ist Ihr unabwendbares Schicksal. Stellen Sie sich aber mir zu Diensten, so zahle ich Ihnen heut, jetzt, sofort volle fünfhundert Taler aus –“
„Fünf – fünfhundert Taler! Mein Gott!“ rief die Frau.
„Fünfhundert Taler?“ fragte der Mann. „Ist das wahr?“
„Ich scherze nicht“, antwortete der Baron.
„Es geht trotzdem nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich darf keinen Gefangenen entlassen.“
„Für nicht ganz drei Stunden?“
„Oh, er wird doch nicht so dumm sein, wiederzukommen!“
„Es wäre im Gegenteil sehr dumm, wenn er nicht wiederkommen wollte. Entflieht er, so darf er sich niemals wiedersehen und treffen lassen; er ist vogelfrei und heimatlos. Kehrt er aber zurück, so werde ich seine Unschuld beweisen, und er kann offen und gerechtfertigt das Gefängnis verlassen.“
„Was wird er während dieser drei Stunden tun?“
„Er soll eine Besprechung mit einem Rechtsanwalt haben.“
„Der Anwalt kann am Tag zu ihm in die Zelle kommen.“
„Das erlaubt der ganz und gar eigentümliche Stand der Verhältnisse nicht!“
„Wer ist es?“
„Der Riese Bormann.“
Man sah, daß der Schließer erschrak.
„Um Gottes willen!“ sagte er. „Bei diesem gefährlichen Menschen darf ich es noch viel weniger wagen, als bei einem anderen.“
„Und dennoch können Sie es wagen. Ich werde Ihnen die Sache so erleichtern, daß Sie einsehen, wie ehrlich ich es mit Ihnen meine.“
„Das soll mich verlangen.“
„Gut. Sagen Sie mir vorher, ob es Ihnen möglich ist, einen Gefangenen vor das Tor der Frohnveste zu bringen, ohne daß man dies bemerkt.“
„Vor das Tor nicht, aber vor die hintere Pforte.“
„Schön. Ich halte Sie für einen ehrlichen Menschen, dem ich vertrauen kann. Ich mache Ihnen daher folgenden Vorschlag; Zunächst schenke ich Ihnen fünfhundert Taler, damit Sie sich für die morgige Revision vorbereiten und retten können. Zweitens lege ich volle dreitausend Taler als Kaution in Ihre Hand, daß der Gefangene sich bis drei Uhr morgens wieder vor der Pforte befindet.“
„Dreitausend Taler!“ rief die Frau.
„Dreitausend Taler!“ wiederholte der Baron. „Ich selbst hole den Gefangenen und bringe Ihnen denselben zurück. Dabei geben Sie mir die Kaution retour. Er kehrt ganz sicher zurück. Und selbst für den Fall, daß dies nicht geschehen sollte, kann Ihnen doch kein Mensch einen Fehler nachweisen und die Kaution verfällt Ihnen als Ihr Eigentum.“
Die Frau richtete einen gierigen Blick auf den Baron und einen aufmunternden auf ihren Mann. Dieser schüttelte den Kopf und sagte:
„Das ist viel, sehr viel! Vielleicht würde ich darauf eingehen, denn meine Lage zwingt mich dazu. Aber er ist der Riese Bormann!“
„Nun, warum bei diesem nicht?“
„Man sagt, daß er mit dem ‚Hauptmann‘ in Verbindung
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