600 Stunden aus Edwards Leben
Muskeldystrophie gewesen wäre, hätte ich nur die Gelegenheit bekommen, ihn ausführlich darzulegen.
Ich hoffe, dass, wenn wir in Zukunft noch einmal in die Situation kommen sollten, miteinander zu arbeiten, Sie ein höheres Maß an Professionalität an den Tag legen.
Hochachtungsvoll,
Edward Stanton
FREITAG, 17. OKTOBER
Alles ist verschwommen. Der Rand meines Blickfelds wirkt gazeartig ausgefranst. In »Daysleeper«, einem Song von R.E.M., den ich sehr mag, wird das als »Kopfschmerzgrau« bezeichnet. Michael Stipe, der Leadsänger von R.E.M., setzt Worte auf eine seltsame, aber schöne Art zusammen.
Plötzlich taucht sie auf. Ich denke, ich habe sie schon einmal gesehen, aber ich komme nicht auf ihren Namen. Sie sieht mich auf eine Weise an, dass mich ein Kribbeln überläuft. Sie fährt mit der Zunge über ihre Lippen und kommt näher.
Sie ist nackt.
Ich bin nackt.
Sie greift nach unten. Ach, du meine Güte! Das kann doch nicht …
Schlagartig öffne ich die Augen. Mein Atem geht flach und schnell. Es ist 7:39 Uhr – das dreiundzwanzigste Mal in diesem Jahr, dass ich zu dieser Zeit aufwache, aber noch nie in diesem Zustand. Ich atme tief ein, schürze die Lippen und lasse die Luft in einem Stoß entweichen. Ich greife nach meinem Notizbuch und Stift, schlage die heutige Seite auf, schreibe »7:39 Uhr«, und meine Daten sind vollständig.
Mir tun die Eier weh.
Als ich mich bei
Montana Personal Connect
einlogge, sehe ich etwas, das ich noch nie gesehen habe:
Posteingang (1).
Das hatte ich nicht erwartet. Ich versuche niemals, etwas zu erwarten, da es nur eine Vermutung darüber ist, was geschehen wird, und Vermutungen sind keine Tatsachen. Ich bevorzuge Tatsachen. Trotzdem weiß ich, dass Erwartungen menschlich sind, und das bin ich auch, egal, wie sehr ich mich dagegen sträuben mag.
Das hatte ich nicht erwartet. Ich denke, ich sollte den Posteingang anklicken. Ja, das wäre gut.
Das hatte ich nicht erwartet.
Klick.
Edward,
dein Profil hat mir gut gefallen. So viele Leute hier versuchen sich zu »Verkaufen«. Das ist doch alles schwindel. Aber dein Profil ist einfach und auffen Punkt. Das gefällt mir bei ein Mann.
Und lustig bist du auch. Jedenfalls hoffe ich das du mein Profil auch ansiehst und mir vielleicht zurückschreibst.
Ich wünsch dir ein schön Tag!
Joy
Ich bin baff. (Ich mag das Wort »baff«. Es ist nicht wirklich onomatopoetisch – auch so ein Wort, das ich mag –, aber nahe dran.)
Es ist kein perfekter Brief. Joy scheint den Unterschied zwischen »ein«, »einen« und »einem« nicht zu kennen oder Kommaregeln oder andere Regeln der Grammatik, und sie hat überhaupt nichts zu meinen Wetterdaten geschrieben.
Es ist allerdings die erste Reaktion, die ich auf mein Profil bekommen habe. In der Not frisst der Teufel Fliegen, wie es heißt. Mein Vater sagt das oft, aber ich denke nicht, dass es seine Lebensphilosophie ist. Er mag einfach keine armen, Not leidenden Leute. Für mich ist es auch keine Lebensphilosophie. Ich bevorzuge Tatsachen.
Joys Profilfoto ist sehr nett. Es wäre übertrieben zu sagen, sie sei schön. Schön sind Angelina Jolie oder Merry Anders, eine meiner Lieblingsschauspielerinnen aus dem festen Ensemble von
Polizeibericht
. So sieht Joy nicht aus. Aber sie ist recht hübsch.
Sie hat kurze blonde Haare und sehr helle blaue Augen. Sie lächelt nett, und sie hat Grübchen. Außerdem wirkt sie ein bisschen stämmig, was nicht immer als schön gilt, aber mir gefällt es.
In ihrem Profil steht Folgendes:
Der Typ dem ich suche ist selbsicher, und sucht eine Frau, die auch selbsicher ist. Ich hab das alles schon erlebt dass ein Typ ein Kontrollfreak ist oder unsicher, und das will ich nie wieder. Ich bin ein einfaches Mädchen mit einfachen Ansprüchen. Geh ab und zu mit mir ins Kino, oder zum Essen und alles ist gut. Ich bevorzuge Normalgewicht aber der Funke zählt. Wenn du mich zum lachen bringen kannst ist alles gut. Wenn du in einer Beziehung bist oder im Haus deiner Eltern wohnst mach dir keine Sorgen. Wenn du reich bist umso besser. Ha ha. Ich hab zwei Kinder die bei ihren Vater wohnen. Ich hätte gern mehr Kinder.
Joy ist einundvierzig. Wenn sie mehr Kinder will, muss sie sich beeilen.
Ihre Grammatik ist grauenvoll. Ich mache mir Sorgen wegen ihres Kinderwunsches. Das ist ein großes Thema, und wir haben uns noch nicht einmal getroffen. Ich kann jetzt noch nicht über Kinder nachdenken. Das wäre zu viel Druck. Außerdem wohnt sie in
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