Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
Vom Netzwerk:
funktioniert.
    Um 19:11 Uhr fragt die Bedienung erneut, ob ich etwas trinken wolle. Ich verneine. Und ich ärgere mich. Ich kann nicht anders.
    Um 19:13 Uhr entdecke ich Joy an der Tür. Sie sieht genauso aus wie auf ihrem Foto – umwerfend. Sie ist groß, vielleicht fast einen Meter achtzig. Das gefällt mir. Sie trägt ein weißes Kleid mit großen braunen und blauen Schnörkeln – Paisley heißt es, glaube ich –, das ihr bis etwa zur Mitte der Wade reicht. Sie sieht sehr hübsch aus.
    Ich will gerade die Hand heben, um ihr zu winken, aber sie hat mich schon entdeckt und lächelt.
    Sie kommt zum Tisch.
    Heilige Scheiße!
    »Edward, ich freue mich ja so, dich zu sehen«, sagt sie und streckt mir beim Hinsetzen die Hand hin.
    Ich gebe ihr meine und achte darauf, ihre fest zu drücken.
    »Wartest du schon lange?«
    Ich sehe auf die Uhr: 19:13:57 … 19:13:58 … 19:13:59 …
    »Vierzehn Minuten. Wir wollten uns um neunzehn Uhr treffen, korrekt?«
    »Ja, es tut mir leid. Ich bin früh aus Broadview losgefahren, damit ich genug Zeit hab, aber dann war da dieser große Verkehrsunfall auf dem Highway 3 – richtig schlimm –, und das hat mich aufgehalten, und als ich dann herkam, hab ich nur sehr schwer einen Parkplatz finden können. Hier ist viel los am Freitagabend.«
    »Ich habe direkt gegenüber geparkt.«
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    »Tja, Edward, ich bin froh, dass ich jetzt hier bin.« Sie mustert mich. »Dein Anzug gefällt mir.«
    »Ja.«
    Ich greife neben mich auf die Sitzbank und hebe die Rose hoch, die ich versteckt hatte. Ich lege sie vor Joy auf den Tisch. »Die ist für dich«, sage ich.
    Sie nimmt die Rose. »Oh, vielen Dank. Die ist hübsch. Das ist lieb von dir.«
    Die Bedienung kommt wieder, bringt uns die Speisekarten und nimmt die Getränkebestellung auf. Joy bestellt einen Gewürztraminer, was eine Weinsorte zu sein scheint. Ich bestelle ein Glas Wasser. Ich habe noch nie Wein getrunken, und ich trinke keinen Alkohol. Zumindest habe ich das bisher nicht getan.
    »Du trinkst keinen Wein?«
    »Nein.«
    »Ich liebe Gewürztraminer. Ich mag eher halbtrockene Weine – Riesling und Chardonnay. Rotwein nicht so gern. Bist du sicher, dass du ihn nicht probieren möchtest?«
    »Ich schätze, dann probiere ich mal.« Als die Bedienung das nächste Mal vorbeikommt, bitte ich sie, mir ebenfalls ein Glas Gewürztraminer zu bringen. Selbst wenn ich den Wein am Ende nicht mag, so mag ich doch das Wort.
    »Wir hatten gar nicht übers Essen gesprochen, und die Karte sieht lecker aus«, sagt Joy. »Möchtest du was essen?«
    »Ja.«
    Als die Bedienung mit den Gewürztraminern und dem Wasser kommt, fragt sie, ob wir essen wollen. Joy bestellt Lobster Mac’n’Cheese. Ich bestelle einen Caesar-Salat mit gebratenem Hühnchen.
    »Ein Salat?«, sagt Joy. »Da wirke ich ja ganz schön verfressen, wenn ich eine große, warme Mahlzeit bestelle.«
    »Ich bin neugierig auf deinen Mac’n’Cheese. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das gut anhört.«
    »Nach dem, was ich gehört habe, ist der fantastisch. Möchtest du einen Bissen, wenn er kommt?«
    »Nein, das möchte ich nicht.«

    Beim Essen stellt Joy ein paar Fragen, am meisten aber redet sie über sich selbst. Als sie fragt, was ich arbeite, und ich »gar nichts« sage, staunt sie. Da erzähle ich ihr, dass ich von meinen Investitionen lebe, was eine kleine Notlüge ist. Ich lebe von den Investitionen meines Vaters.
    Sie erzählt lang und breit davon, dass sie auf einer Farm außerhalb von Broadview aufgewachsen ist, dass ihre Eltern gemein zu ihr und ihren Brüdern waren und dass sie schließlich bei ihrer Tante und ihrem Onkel aufwuchs, die sehr nett waren und …
    Vom Gewürztraminer muss ich rülpsen. Es ist nicht laut, aber es unterbricht ihre Geschichte.
    »Ich habe gerülpst«, sage ich.
    »Tja, na ja«, sagt Joy, wirkt für einen Moment verärgert und setzt dann ihre Geschichte fort. Ich höre ihr gern zu. Ihre Geschichte ist nicht besonders strukturiert – sie springt viel in der Zeit und mit Orten hin und her und flicht abschweifende Nebengeschichten ein –, aber sie erzählt so lebhaft und anschaulich, dass ich einfach nur Salat in meinen Mund schaufele und ihr zuhöre.
    »Edward, tut mir leid, ich rede hier die meiste Zeit«, sagt sie dann. »Ich würde gern wissen, was du von alledem hältst.«
    »Ich denke, es ist nett, dass deine Tante und dein Onkel sich um dich gekümmert haben.«
    »Nein, ich meine, von alledem hier«, sagt sie und

Weitere Kostenlose Bücher