61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
daß ich ein Pfuscher bin, Herr Amtmann?“
Der Genannte legte dem Knaben in der Gegend des Herzens die Hand auf den dünnen Trikot-Stoff. Er fühlte nicht die mindeste Bewegung dieser Lebensmuskel.
„Wahrhaftig, er ist tot!“ rief er. „Welch ein entsetzlicher Fall!“
Alle Anwesenden hörten es, und der Aufruhr, welcher jetzt entstand, war unbeschreiblich. Einige Damen fielen in Krämpfe oder hysterisches Lachen. Sie mußten entfernt werden. Der Bürgermeister, als Inhaber der höchsten Polizeigewalt im Städtchen, eilte herbei, gefolgt von dem anwesenden Schutzmann und Gendarmen.
„Der Todesfall muß konstatiert werden, gerichtlich konstatiert!“ sagte er. „Man hat nach dem Gerichtsarzt zu senden!“
Dadurch fühlte sich Doktor Werner beleidigt:
„Herr Bürgermeister“, sagte er, „meinen Sie vielleicht, daß ich einen Toten von einem Lebendigen nicht zu unterscheiden vermag?“
„So habe ich das nicht gemeint“, erklärte das Oberhaupt der Stadt. „Aber der Herr Amtmann wird auch sagen, daß ich hier meine Pflicht zu tun habe. Sie aber sind nicht Gerichtsarzt!“
„Ah, so halten Sie eine gerichtliche Kommission für nötig?“
Bei diesen Worten des Arztes blickte der Bürgermeister betroffen empor.
„Ah“, sagte er, „so allerdings habe ich das nicht gemeint!“
„Wie sonst?“
„Ich meine nur, daß der Tod zu konstatieren sei.“
„Dazu ist das Zeugnis eines jeden Arztes ausreichend.“
„Außer es handelt sich um ein Verbrechen!“
Diese letzteren Worte hatte ein Herr gesagt, dem es gelungen war, sich durch die Menge herbeizudrängen. Die drei Herren blickten ihn an; sie kannten ihn nicht. Der Bürgermeister betrachtete ihn mit einem forschenden Blick, zuckte die Achseln und fragte abweisend: „Sie meinen?“
„Daß nur im Fall eines Verbrechens eine gerichtliche Leichenschau notwendig sein würde.“
„Das wissen wir auch. Dazu bedürfen wir keines fremden Rates. Oder wollen Sie sagen, daß hier ein Verbrechen vorliege?“
„Ja“, nickte der Fremde.
„Herr, bedenken Sie, was Sie tun!“
„Herr Bürgermeister, ich weiß ganz genau, was ich sage.“
„Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Wir alle sind Zeugen des Ereignisses gewesen. Wir alle haben gesehen und müssen gesehen haben, daß hier nur ein höchst unglückseliger Zufall vorliegt.“
„Ich denke, daß Sie sich irren“, sagte der Fremde in kaltem Ton.
„Herr, wer sind Sie?“
Es war still im Saal geworden. Alles schwieg, um der Unterhaltung zu lauschen. Auch die Künstler standen starr und lautlos, noch unter dem Einfluß des Schrecks. Der Riese war augenblicklich nüchtern geworden. Aller Augen waren auf den Fremden gerichtet. Er hatte rotes Haar, roten Vollbart, trug die gewöhnliche Kleidung der dortigen Gegend, machte aber doch nicht den Eindruck, als ob er ein Mitglied der arbeitenden Klasse sei. Die Frage des Bürgermeisters machte ihn nicht im geringsten verlegen. Er zuckte die Achseln, ganz so wie dieser vorhin, und antwortete:
„Ich werde nachher die Ehre haben, mich zu legitimieren. In Gegenwart so vieler Zeugen habe ich das natürlich nicht notwendig. Haben Sie gehört, was der unglückliche Knabe vor Beginn der Produktion sagte, Herr Bürgermeister?“
„Allerdings!“
„Und was ihm sein Gebieter antwortete?“
„Auch.“
„Der Knabe wollte sich nicht an der Pyramide beteiligen!“
„Es schien so!“
„Sein Herr aber zwang ihn!“
„Hm!“
„Das Kind besaß jedenfalls nicht die Übung und Körperkraft, welche zu einer solchen Schaustellung unumgänglich notwendig ist.“
„Was geht das uns an?“
„Sie jedenfalls wenigstens ebensoviel wie mich. Ich ersuche Sie, sich dieser sogenannten Künstler zu bemächtigen.“
„Was fällt Ihnen ein?“
„Nur das, was Ihnen bereits vor mir eingefallen sein sollte!“
„Herr!“ brauste der Bürgermeister auf.
„Bitte, bleiben wir ruhig! Es versteht sich ganz von selbst, daß diese Leute unter die Anklage der fahrlässigen Tötung zu stellen sind. Ich nehme an, daß dies auch Ihre Ansicht ist, Herr Amtmann?“
Dieser nickte zustimmend. Der Fremde fuhr fort:
„Wir alle haben gesehen, daß dieser Chef der Künstlertruppe, welcher sich Bormann nennt, betrunken war.“
„Das ist wahr!“ ließen sich einige Stimmen vernehmen.
„Er wankte und taumelte zusehends.“
„Wir sind Zeugen!“ riefen noch mehrere.
„Er warf den Knaben zu hoch. Dies konnte eben nur ein ganz Betrunkener tun!“
„Herr!“ rief jetzt
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