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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Bormann, in dem er näher trat. „Ich bin nüchtern, vollständig nüchtern! Oder wollen Sie mich untersuchen?“
    „Pah!“ antwortete der Fremde. „Sie stinken nach Schnaps. Der Schreck hat Sie nüchtern gemacht.“
    „Was geht Sie überhaupt die ganze Sache an?“
    „Sehr viel, wie Sie sogleich sehen werden!“
    Er bückte sich nieder, knöpfte die Trikotjacke des Kleinen auf, entblößte den Rücken, deutete mit der Hand nach demselben und rief mit erhobener Stimme:
    „Sehen Sie her, meine Herren! Ist das menschlich?“
    Ein dunkelblaues, blutverkrustetes Fleisch war zu sehen.
    „Herrgott!“ sagte der Amtmann. „Wovon ist das?“
    „Von den Schlägen, welche das arme Kind erhalten hat. Enthüllen wir die Leiche weiter.“
    Dies geschah, und hundert Rufe des Entsetzens ließen sich rundum hören. Nicht nur der Rücken des armen, gemarterten Kindes, sondern der ganze Körper zeigte die Spuren der fürchterlichen Peitsche. Hieb lag neben Hieb, und es gab Stellen, an denen die dicken Schwielen aufgeplatzt waren, so daß das rohe Fleisch zwischen den Hautrissen hervorblickte. Es war ein scheußlicher Anblick.
    „Wollen Sie auch jetzt noch diese Unmenschen frei laufen lassen, Herr Bürgermeister?“ fragte der Fremde.
    „Nein“, antwortete der Gefragte. „Aber wie haben Sie von diesen Mißhandlungen erfahren können?“
    Da ließ der Fremde ein geheimnisvolles Lächeln sehen und antwortete:
    „Ich bin allwissend, mein Herr.“
    „Allwissend? Wie meinen Sie das?“
    „Der Herr Amtmann mag es Ihnen unter vier Augen sagen. Hier, wollen Sie meine Legitimation lesen?“
    Er griff in die Tasche, zog eine Karte hervor und gab dieselbe dem Amtmann. Dieser las, wie bereits heute einmal: ‚In meinem Auftrage. Der Justizminister‘.
    Der Beamte warf einen Blick des Erstaunens auf den Fremden.
    „Herr“, sagte er. „Es ist mir heute schon eine solche Karte gezeigt worden.“
    „Eine solche? Nein. Es war ganz dieselbe.“
    „Dieselbe? Wie? Dient sie denn mehreren Personen als Legitimation?“
    „Nur einer einzigen.“
    „Aber der, in dessen Hand ich sie erblickte, war ein anderer als Sie!“
    „Wohl nicht, ich selbst hatte die Ehre, sie dem Herrn Aktuar zu präsentieren, der sie nachher Ihnen zeigte.“
    „Aber der Herr, von dem Sie sprechen, war doch –“
    Er hielt inne, denn ein lauter Schrei war erschollen.
    Der riesige Künstler war nämlich jetzt zu der Ansicht gekommen, daß seine Lage eine gefährliche sei. Er blickte sich um und wischte sich dabei auf eine eigentümliche Weise im Auge. Das hatte ganz und gar das Aussehen, als ob er mit dieser an und für sich bedeutungslosen Bewegung eine besondere Absicht verbinde. Diese Absicht schien erreicht zu sein, denn er nickte heimlich nach einer bestimmten Gegend hin.
    Heimlich? Er dachte es wohl, aber es war doch bemerkt worden. Das scharfe Auge des Fremden hatte, trotzdem er mit dem Amtmann und dem Bürgermeister sprach, die Bewegung und das Nicken gesehen. Rasch drehte er sich nach der Richtung um, welche der Blick des Riesen genommen hatte, und gewahrte – Fritz Seidelmann, welcher ganz ebenso sich das Auge wischte.
    Kannten sich die beiden? Oder war das Im-Auge-Wischen ein Erkennungs-, ein geheimes Zeichen? Der Fremde hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, da er gerade jetzt im Begriff stand, dem Amtmann seine Karte abzunehmen.
    Der Riese wendete sich zu seinen beiden Kollegen und raunte ihnen zu:
    „Wir lassen uns nicht arretieren! Schnell durch die Fenster und hinauf auf den Boden!“
    „Aber da fangen sie uns!“ flüsterte einer der beiden.
    „Dummkopf! Können wir in den Trikots fort? Eins! Zwei! Drei!“
    Dies war der Augenblick, an welchem der vielstimmige Schrei im Saal erschollen war. Von dem Platz aus, welcher als Bühne diente, führten zwei Fenster hinaus in den Hof. Sie waren zwar verschlossen, aber der Riese tat einen Satz nach dem einen, holte aus und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag das Fensterkreuz. Ein Sprung, und er stand im Hof.
    Der zweite folgte ihm. Der Dritte war an das andere Fenster getreten. Hatte einen Flügel desselben aufgerissen und sprang auch hinaus. Bis jetzt war es gelungen.
    „Sie fliehen! Sie reißen aus!“ rief es rundum.
    „Haltet sie fest!“ schrie der Bürgermeister.
    Er wendete sich nach der Saaltür.
    „Halt! Nicht dort hin, sondern ihnen durchs Fenster nach!“ rief der Fremde in gebieterischem Ton. „Das geht schneller!“
    Er riß dem Amtmann, welcher vor Überraschung ganz steif

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