61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Pause, um nach den eigenen Leuten zu sehen. Dann das Zittern, das keuchende Atemholen und das Bedürfnis, sich zu übergeben.
Kein Lachen.
Und dies war kein Versteckspiel. Niemand versteckte sich wirklich, und niemand suchte wirklich. Wer auch immer dort draußen war, wusste genau, wo Janet Salter sich befand. Er würde ihre genaue Adresse bekommen haben. Vielleicht in Form einer Wegbeschreibung oder als GPS -Koordinaten. Und sie saß einfach hier, wartete auf ihn. Keine Finesse. Nur schlichte Brutalität. Das enttäuschte Reacher etwas. Er war gut im Verstecken spielen. In der Erwachsenenversion, die nichts mit dem Kinderspiel zu tun hatte. Gut im Verstecken, besser im Suchen. Sein ehemaliger Beruf hatte ihn in diese Richtung gelenkt. Er war ein guter Menschenjäger gewesen, hatte vor allem Flüchtende gejagt. Hatte gelernt, dass Empathie der Schlüssel war. Man musste ihre Motive, ihre Lebensumstände, ihre Ziele, ihre Absichten, ihre Ängste, ihre Bedürfnisse verstehen. Wie sie denken. Sehen, was sie sahen. Sie sein . Er hatte es so weit gebracht, dass er eine Stunde mit der Fallakte, eine weitere Stunde mit Nachdenken und eine dritte mit Landkarten, Stadtplänen und Telefonbüchern verbringen und dann ziemlich exakt voraussagen konnte, wo der Kerl sich versteckt hielt.
Er kontrollierte die Straße vor dem Haus.
Dort war niemand.
Nur eine weiße Welt, die steif gefroren zu sein schien.
Er sah zu Janet Salter und sagte: »Sie müssen eine Zeit lang die Straße für mich im Blick behalten.«
»Okay.«
»Ich bin inzwischen in der Eingangshalle. Kommt jemand durch die Küche oder die Bibliothek, fange ich ihn auf dem Korridor ab.«
»Okay.«
»Bleiben Sie im Schatten, aber beobachten Sie aufmerksam.«
»Okay.«
»Falls Sie etwas sehen, rufen Sie mich laut und deutlich – und mit präzisen Informationen. Anzahl, Position, Richtung und Personenbeschreibung.«
»Okay.«
»Und bleiben Sie dabei stehen.«
»Warum?«
»Damit ich höre, wie Sie zu Boden gehen, falls Sie auf Ihrem Posten einschlafen.«
Sie nahm eine gute Position ein: fast in der Mitte des Salons, von außen nicht zu erkennen, aber trotzdem mit großem Blickfeld. Ihre Hand lag weiter auf dem Griff des Revolvers in ihrer Jackentasche. Er trat in die Eingangshalle und stellte den Stuhl auf die andere Seite des Telefontischchens, um die Türen von Bibliothek und Küche beobachten zu können. Er legte den Revolver auf seine Knie. Nahm den Hörer ab. Wählte die Nummer, die er auswendig wusste.
»Ja?«
»Amanda, bitte.«
Eine Pause. Ein Klicken. Dann eine Stimme, die sagte: »Soll das ein Witz sein? Vor zwei Stunden haben Sie mir Arbeit für zwei Wochen gegeben, und jetzt rufen Sie bereits an, um Ergebnisse zu hören?«
»Nein, das ist nicht witzig gemeint, aber ich kann Ihnen sowieso nicht zwei Wochen Zeit lassen. Ich brauche spätestens morgen etwas.«
»Sie sind wohl verrückt?«
»Sie haben gesagt, Sie seien besser als ich, und ich hätte das in einem Tag geschafft. Also müsste Ihnen eine Nacht reichen.«
»Was ist das – angewandte Psychologie? Haben Sie in West Point einen Motivationskurs belegt?«
Reacher ließ seine Hand auf dem Revolver und behielt die Küchentür im Auge. Er fragte: »Haben Sie Ihren Kerl schon gefasst?«
»Nein. Merken Sie das nicht?«
»Wo fahnden Sie nach ihm?«
»Auf allen Flughäfen und den Häfen an der Golfküste zwischen Corpus Christi und New Orleans.«
»Er hält sich in einem Motel knapp nördlich von Austin auf. Ziemlich sicher in Georgetown. Ziemlich sicher im zweiten Motel nördlich des Busbahnhofs.«
»Was, trägt er eine elektronische Fußfessel, von der ich nichts weiß?«
»Nein, er ist verängstigt und allein. Er braucht Hilfe. Die kann er nur von seinen ausländischen Auftraggebern bekommen. Aber er muss noch warten, bevor er sie anrufen kann. Sie helfen ihm, wenn er clean ist; sie lassen ihn fallen, wenn er kompromittiert ist. Vielleicht liquidieren sie ihn sogar. Das weiß er. Dass er auf der Flucht vor der Justiz ist, stört sie nicht weiter, aber als politischer Flüchtling wäre er unerwünscht. Dann müssten sie befürchten, dass wir seine Spur bis zu ihnen zurückverfolgen. Deshalb muss er auf dem Laufenden bleiben. Er braucht Zugang zu Medien, die über Fort Hood berichten. Bleibt der Mord ein häuslicher Gewaltexzess, kann er seine Leute anrufen. Tut er’s nicht, jagt er sich zuletzt eine Kugel in den Kopf.«
»Wir halten die Hintergründe geheim.«
»Dann wartet er noch
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