61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
ein, zwei Tage, um ganz sicherzugehen, bevor er anruft.«
»Aber das könnte er überall tun. In Waco, Dallas oder sogar Abilene.«
»Nein, er hat sein Versteck sorgfältig gewählt. Abilene ist zu klein und zu weit entfernt. Und Waco und Dallas sind zu patriotisch. Er befürchtet, Rundfunk und Fernsehen könnten den Spionageaspekt hervorheben. Woher kommt er, aus der Fourth Infantry? Fernsehzuschauer in Waco und Dallas wollen nichts von einem Hauptmann der Fourth Infantry hören, der ein Verbrecher ist. Das weiß er. Aber Austin ist viel liberaler. Und es ist die Hauptstadt mit entsprechender Mediendichte. Er muss auf dem Laufenden bleiben, und das kann er am besten in Austin.«
»Sie haben Georgetown gesagt.«
»Er hat Angst vor der Großstadt. Zu viele Cops, zu viel Betrieb. Er ist nicht mit dem Auto gefahren, stimmt’s? Zu viele Cops auf der Interstate. Sein Wagen steht noch in der Garage, richtig?«
»Korrekt.«
»Also ist er von Fort Hood aus mit dem Bus gefahren und frühzeitig ausgestiegen. Georgetown war genau richtig – kurz vor Abilene, aber nicht zu nahe. Bei der Ankunft hat er aus dem Fenster gesehen. Ein Motel nach dem anderen. Er hat sie sich gemerkt. Vom Busbahnhof aus ist er die Straße entlang zurückgegangen. Wollte keine unbekannte Gegend. Wollte aber auch nicht weit gehen müssen. Zu exponiert. Zu verwundbar. Trotzdem hat ihm das erste Motel vom Busbahnhof aus nicht gefallen. Viel zu offensichtlich. Also hat er sich in dem zweiten einquartiert. Und dort ist er jetzt, hat die Sicherungskette vorgelegt und verfolgt die Nachrichten aller Lokalsender.«
Die Stimme äußerte sich nicht dazu.
Reacher sagte: »Augenblick, bin gleich wieder da.« Er legte den Hörer auf das Tischchen und stand auf. Kontrollierte die Küche, kontrollierte die Bibliothek. Nirgends etwas Verdächtiges. Er warf einen Blick in den Salon. Janet Salter stand weiter unerschütterlich auf ihrem Posten tief im Schatten.
Auf der Straße war nichts zu sehen.
Dort kam niemand.
Reacher ging in die Eingangshalle zurück, setzte sich an das Tischchen und nahm den Hörer in die Hand. Die Stimme fragte: »Sonst noch was?«
»Nur eine Kleinigkeit – er hat im Bus im vorderen Drittel gesessen.«
»Erzählen Sie keinen Scheiß.«
»Das war als Tarnung gedacht. Er wollte sich nicht als Flüchtling verraten. Er glaubt, dass die bösen Kerle hinten sitzen. Er ist ein Hauptmann der Fourth Infantry. Vermutlich sehr auf Anstand bedacht. Er erinnert sich an seinen Schulbus. Die Krawallmacher haben hinten gesessen. Er natürlich nicht.«
Keine Antwort.
»Georgetown«, sagte Reacher. »Zweites Motel nördlich des Busbahnhofs. Lassen Sie’s überprüfen.«
Keine Antwort.
Reacher fragte: »Wo sind Ihre nächsten Leute?«
»Ich habe Leute in Hood.«
»Dann schicken Sie sie hin. Das sind ungefähr fünfzig Meilen. Was kostet Sie das schon?«
Keine Antwort.
Reacher sagte: »Und nicht vergessen: Ich brauche meine Informationen bis morgen.«
Er legte auf, stellte den Stuhl wieder an seinen richtigen Platz, ging durch die Eingangshalle in den Salon zurück und warf einen Blick aus dem Fenster.
Nichts zu sehen.
Dort kam niemand.
21.55 Uhr.
Noch dreißig Stunden.
20
Die Standuhr tickte weiter. Reacher betrachtete jede volle Minute als kleinen Sieg. Ein Häftlingsaufruhr konnte nicht ewig dauern. Seine Anfangsphase würde relativ kurz sein. Geiseln würden genommen, Territorien besetzt werden, eine Pattsituation würde entstehen. Taktische Anpassungen würden nötig werden. Das Wachpersonal würde langsam wieder Ordnung schaffen. Die Cops würden heimgeschickt werden. Das alles wusste Reacher.
Also würde es auch der Kerl wissen.
Reacher verstand nicht, weshalb er nicht kam. Die Zielperson war eine alte Frau in einem Haus. Worauf wartete er noch?
Um halb elf erbot Janet Salter sich, Kaffee zu kochen. Das erlaubte Reacher ihr nicht. Vielleicht wartete der Typ nur darauf. Der Perkolator brauchte Wasser. Wasser kam aus dem Hahn. Der Hahn befand sich über dem Ausguss, der Ausguss war unter dem Fenster. Ein weißhaariger Frauenkopf dicht hinter der Scheibe konnte ein verlockendes Ziel sein. Also bereitete er den Kaffee selbst zu, nachdem er den Bereich vor dem Küchenfenster genau kontrolliert hatte. Unnötigerweise, wie sich zeigte. Dazu trat er ohne Jacke, Handschuhe oder Mütze ins Freie. Die Kälte traf ihn wie eine Faust, lähmte ihn beinahe, lag tief unter dem Gefrierpunkt.
Er flüchtete wieder ins Haus. Dort draußen
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