61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
stecken Sie?«
Reacher sagte: »Was? Sind Sie jetzt meine Mutter?«
»Ich hab mir die Finger wund gewählt, um Sie zu erreichen.«
»Ich bin draußen auf der Anlage und versuche reinzukommen. Suche den Schlüssel. Ich muss die zwanzig originellsten Verstecke wissen, in denen Sie jemals einen kleinen Gegenstand gefunden haben.«
»Einschub eines Videorekorders, Teekessel, Schuh, Fernseher, Batteriefach eines Transistorradios, ausgehöhltes Buch, Schaum stoffpolster eines Autositzes, ein Stück Seife, eine Tube Käse creme.«
»Das sind erst neun. Sie sind ein hoffnungsloser Fall.«
»Lassen Sie mir Zeit.«
»Solches Zeug gibt’s hier draußen nicht.«
»Was gibt es denn?«
Reacher machte langsam einen Rundgang durch die Hütte und beschrieb alles, was er sah.
Die Stimme sagte: »Der Wasserbehälter im WC .«
»Längst kontrolliert.«
»Irgendwelche aufgerissenen Matratzen?«
»Nein.«
»Lockere Bretter?«
»Nein.«
»Dann würde ich die Hütten anzünden und die Asche sieben. Ein Luftwaffenschlüssel besteht vermutlich aus demselben Material wie Gefechtsköpfe. Er bliebe garantiert unbeschädigt.«
»Warum wollten Sie mich erreichen?«
»Weil ich weiß, wozu die Anlage dienen sollte.«
27
Peterson und Holland bekamen mit, was die leicht blechern klingende Handystimme sagte. Sie traten näher. Reacher ließ sich auf dem Bett nieder, auf dem die Bikerin gesessen hatte. Die Stimme fuhr fort: »Die Anlage ist als Waisenhaus gebaut worden.«
Reacher fragte: »Unterirdisch?«
»Das war vor fünfzig Jahren. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Alle Welt war verängstigt. Mein Mann hat mir die Akte gefaxt. Die geschätzten Verluste waren erschreckend hoch. Den Sowjets traute man zu, Raketen im Überfluss zu haben. Angeblich hätten sie Mühe gehabt, genügend Ziele für sie zu finden. Wir haben Szenarios durchgerechnet und den Wochentag und die Jahreszeit festgelegt. An Samstagen oder Sonntagen während der Ferien hätte es alle ziemlich gleich getroffen. Aber an Wochentagen während der Schulzeit hätte es eine bedeutsame räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern gegeben. Die Eltern würden an einem Ort sein, ihre Kinder an einem anderen – vielleicht in dem Schutzraum unter ihrer Schule.«
»Oder unter den Bänken«, sagte Reacher.
»Wo auch immer«, fuhr die Stimme fort. »Der springende Punkt ist, dass die Zahlen der Überlebenden zwei Wochen nach dem Angriff weit auseinanderklaffen sollten. Es sollte viel mehr Kinder als Erwachsene geben. Für irgendeinen Typen aus dem Haushaltsausschuss ist das zur Obsession geworden. Er wollte Unterkünfte für diese Kinder schaffen. Er hatte die Idee, sie könnten unbeschädigte Regionalflughäfen erreichen und in abgelegene Gebiete ausgeflogen werden. Dort sollten kombinierte Strahlenschutzbunker und Unterkünfte entstehen. Darüber hat er mit der Air Force gesprochen. Er hat ihr einen Gefallen getan, und sie hat sich dafür revanchiert. Er stammte aus South Dakota, deshalb hat der Bau dort begonnen.«
»Die Einheimischen sprechen von einem Skandal«, entgegnete Reacher. »Der Bau eines Waisenhauses klingt nicht besonders skandalös.«
»Warten Sie’s ab. Vorausgesetzt wurde, dass es praktisch keine Erwachsenen mehr gab. Vielleicht nur noch ein paar kranke oder sterbende Piloten. Und einen überlasteten Bürokraten mit einem Schreibbrett. Die Idee war, dass Kinder mit Flugzeugen hingebracht würden, damit sie sich dort unten einschließen und versuchen konnten, allein zurechtzukommen. Auf sich selbst gestellt. Wie junge Raubtiere. Keine schöne Vorstellung. Psychologen haben damals vorausgesagt, es werde Stammesbildung, Kämpfe, Tote, vielleicht sogar Kannibalismus geben. Und das Durchschnittsalter der Eingesperrten sollte bei nur sieben Jahren liegen. Dann haben die Psychologen in Gesprächen mit Erwachsenen erfahren, sie fürchteten vor allem, sterben und ihre Kinder allein zurücklassen zu müssen. Sie wollten hören, wenigstens für die Kinder sei bestens gesorgt – Ärzte und Krankenschwestern und frisch bezogene Betten. Sie wollten nicht hören, wie es wirklich sein würde. Das hat erregte Diskussionen ausgelöst, und letzten Endes ist das Projekt eingestellt worden, um die Zivilbevölkerung nicht zu demoralisieren.«
»Die Anlage liegt also seit fünfzig Jahren brach?«
»Irgendetwas an deren Konstruktion hat sie für andere Zwecke unbrauchbar gemacht.«
»Weiß man, was das war?«
»Nein. Die Pläne sind unauffindbar.«
»Steht die
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