616 - Die Hoelle ist ueberall
einem großen Dach, das an den Seiten überstand und von einer Laterne gekrönt wurde. Cloister bat den Taxifahrer, ihn in einiger Entfernung des Eingangs abzusetzen. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Notfalls war er bereit, etwas zu tun, das sich für einen Diener des Herrn eigentlich nicht gehörte, selbst wenn es im Dienste des Herrn geschah. Doch ihm war bewusst, dass sein eigener Wille und sein Wunsch, das Rätsel zu lösen, sich so sehr mit seiner Pflicht vermischt hatten, dass beides nicht mehr zu trennen war.
Er wusste, dass Audrey Barrett in Zimmer 517 lag, doch dank des Polizisten vor ihrer Tür würde sie ohnehin leicht zu finden sein. Allerdings wusste er nicht, auf welcher Station sie lag. Er betrat die Haupteingangshalle und las die Tafel, auf der die einzelnen medizinischen Bereiche in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt waren. Die Zimmer der Kranken, die keine Intensivpflege benötigten, befanden sich in einem anderen Gebäude.
Ein Wachmann beschrieb Cloister, wie er dorthin kam. Er hasste Krankenhäuser. Sogar ihre Gärten. Während er über einen Weg mit großen Steinfliesen ging, hörte er die rauhe Stimme eines Reporters, der über den Mord am berühmten Bobby Bop berichtete, dem Kinderbuchautor, der sich als Pä-derast erwiesen hatte. Er lehnte an einer Mauer, hatte ein Notizbuch aufgeschlagen, und gab jemandem in seiner Redaktion per Telefon einen kurzen Lagebericht durch: »Der letzte ärztliche Bericht über den Gesundheitszustand der Psychiaterin Dr. Audrey Barrett, die unter dem Verdacht des Totschlags an dem Schriftsteller Anthony Maxwell, besser bekannt als Bobby Bop, steht, ist günstig. Erste Informationen des Inhalts, sie lie-ge im Koma, werden dementiert. Dr. Barrett ist bei Bewusstsein und außer Lebensgefahr, aber offenbar ein wenig verwirrt. Anscheinend kann sie sich an das Geschehene nicht erinnern … Nein, nein, nein, das steht nicht im ärztlichen Bericht! Schreib einfach alles auf und denk nicht drüber nach, du An-fänger. Ich sage dir hinterher schon, wie es läuft, okay? … Gut. Weiter. Punkt nach ›nicht erinnern‹. Dr. Barrett liegt im Krankenhaus von New London, Connecticut, ganz in der Nähe von Fishers Island, wo sie sich erholen soll. Sie steht unter Arrest … Jetzt bin ich fertig. Hast du alles?«
Als Cloister diesen Maulhelden hörte, musste er einräu-men, dass der vatikanische Geheimdienst wieder einmal gute Arbeit geleistet hatte. Er war einer der besten Geheimdienste der Welt, und sogar die CIA ahmte seine Arbeitsweise nach.
»Denen entgeht wirklich nichts«, murmelte er.
Cloister setzte seinen Weg fort. Er betrat das Gebäude mit den Krankenzimmern und ging zu den Aufzügen, die sich gleich gegenüber dem Eingang befanden. Einer kam gerade im Erdgeschoss an. Cloister fuhr in den fünften Stock hinauf und trat dort bewusst langsam und mit absichtlich verwirrter Miene hinaus auf den Korridor. Der Korridor erstreckte sich in beide Richtungen und vollführte nach jeweils etwa zwanzig Metern eine Fünfundvierziggradkurve. Gegenüber den Aufzügen befand sich ein großes Fenster, durch das Cloister sehen konnte, wie die Dämmerung hereinbrach. Davor stand eine Empfangstheke mit zwei Krankenschwestern.
Er wusste nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte, und entschied sich einfach für eine. Dem Instinkt seines männlichen Gehirns folgend, wandte er sich nach links. Eine Frau hätte sich wahrscheinlich für die andere Seite entschieden. Er war erst wenige Schritte weit gekommen, da er-schreckte ihn eine Lautsprecherdurchsage: »Dr. Moennig, bitte in die Kardiologie.«
Genau über ihm hing unter der Decke ein Lautsprecher an der Wand. Er ging weiter und bog noch mehrfach nach links ab, während er dem von Krankenzimmern gesäumten Korridor folgte. Am Ende traf er auf den Korridor, der von den Aufzügen aus rechtsherum führte, so dass sich ein Rundgang ergab. Die Warteräume befanden sich in der Nähe der Aufzü-ge, hinter den feindlichen Linien der Krankenschwestern.
An einer Zimmertür stand ein Mann mit dem Rücken zu Cloister. Neben ihm lehnte ein zusammengeklappter Stuhl an der Wand. Der Mann trug die Uniform der örtlichen Polizei. Auf dem Gang befanden sich diverse Personen: ein ältlicher Kranker, der in Begleitung eines jungen Mädchens mit seiner Transfusionsflasche spazieren ging, einige Krankenschwestern, die Krankenzimmer betraten und wieder verließen, und mehrere weitere Besucher. Routinemäßig drehte der Polizist sich um. Er
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