616 - Die Hoelle ist ueberall
war groß und kräftig, etwa fünfzig Jahre alt und trug einen buschigen Schnurrbart unter der wulstigen Nase. Ein zäher Typ.
Es würde nicht leicht sein, diesen Polizisten zu überreden, dass er ihn zu Dr. Barrett ließ. Die Psychiaterin hatte schließ-lich einen Menschen getötet. Doch Cloister musste unbedingt mit ihr reden, koste es, was es wolle. Diese Frau war der Schlüssel. Sie musste es sein, denn die verschlungenen Wege, denen der Jesuit gefolgt war, liefen in ihrer Person zusammen. Und das Ende seiner Suche war nahe. Das spürte er.
Er sagte sich, es sei am besten, wenn er sich gleich als Priester auswies, auch wenn er so seine Zweifel hatte, ob ihm das hier helfen würde. Er trug Zivilkleidung, das könnte den Polizisten misstrauisch machen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein skrupelloser Journalist sich als etwas ausgibt, was er nicht war, bloß um einen Exklusivbericht zu bekommen. Der Jesuit hatte ein Dokument bei sich, das ihn als Priester auswies. Doch es war auf Italienisch abgefasst, es war unwahrscheinlich, dass es ihm bei diesem Polizisten, der nicht besonders gebildet wirkte, weiterhelfen würde.
Dennoch musste er es versuchen.
»Entschuldigen Sie bitte.«
Der große Mann warf ihm einen teilnahmslosen Blick zu, der jedoch rasch feindselig wurde.
»Was wollen Sie?«
Cloister beschloss, gleich zur Sache zu kommen.
»Ich bin Priester. Ich muss mit Dr. Barrett sprechen. Es ist eine Frage von Leben und Tod.«
»Es tut mir leid, aber das geht nicht. Ich habe Anweisungen.«
»Sehen Sie, ich kann beweisen, dass ich Priester bin«, sagte Cloister und zeigte dem Polizisten seinen italienischen Ausweis.
Mit dümmlicher Miene warf der Polizist einen flüchtigen, desinteressierten Blick auf das Dokument. Dann sah er wie-der Cloister an. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, Mann. Auch wenn Sie der Papst selbst wären, dürfte ich Sie da nicht rein-lassen.«
Jemand war bei Dr. Barrett im Zimmer. Cloister hörte ei-ne Bewegung auf der anderen Seite der Tür. Kurz bevor der Türknauf sich drehte, wandten Cloister und der Polizist sich um. Ein großer braunhaariger Mann erschien mit besorgter Miene im Türrahmen. Es war wohl auch für ihn ein sehr lan-ger Tag gewesen.
»Ist etwas passiert?«, fragte er den Polizisten.
»Nein, Mr Nolan.«
Nolan?, dachte Cloister.
»Sie sind Joseph Nolan?«, fragte er. »Der Feuerwehrmann, der Daniel gerettet hat?«
»Ja. Wer sind Sie, und woher wissen Sie das?«
»Ich heiße Cloister, Albert Cloister. Ich bin Jesuit. Der Vatikan hat mich entsandt, um Daniels Fall zu untersuchen. Mutter Victoria hat mir von Ihnen erzählt und von dem, was Sie für Daniel getan haben.«
»Sie kennen Mutter Victoria?«
»Sie macht sich große Sorgen um Dr. Barrett«, sagte Cloister. »Wie wir alle. Ich kann Ihnen meine Gründe jetzt nicht im Einzelnen erklären, weil die Ereignisse sich in den letzten Tagen überschlagen haben, aber ich schwöre Ihnen, dass ich unbedingt jetzt mit Dr. Barrett sprechen muss.«
An den Augen des Priesters sah Joseph, dass dieser die Wahrheit sagte. Und er sah noch mehr darin. Cloisters Blick war dem Feuerwehrmann vertraut. Er hatte diesen Blick oftmals bei Menschen gesehen, die gerade dem Tod durch Verbrennen ins Auge sahen: eine Mischung aus Entsetzen und Dringlichkeit. Es war seltsam, diesen Blick einmal unter anderen Umständen zu sehen. Joseph fragte sich, wer der Priester wirklich war und was er von Audrey wollte.
»Sie ist noch sehr schwach«, erwiderte er. »Und außer-dem schläft sie gerade. Ich glaube, das ist jetzt keine gute Idee …«
»Ich kann nicht gehen, ohne mit ihr gesprochen zu haben«, fiel Cloister ihm ins Wort, wieder mit diesem beunruhigenden Ausdruck in den Augen. »Ich versichere Ihnen, es dauert nur einen Augenblick. Ich muss unbedingt mit ihr sprechen, verstehen Sie?«
»Sagen Sie mir, was Sie wissen wollen, und dann frage ich sie.«
Cloister erwog diese Möglichkeit. Doch dann verwarf er sie sofort wieder. Er konnte dem Feuerwehrmann unmöglich hier zwischen Tür und Angel all das vermitteln, was er wissen musste. Nicht einmal, wenn er ihm jetzt einen längeren Vortrag hielte. Damit würde er nur erreichen, dass man ihn für verrückt erachtete.
»Wenn ich das nur könnte, Mr Nolan, aber es geht nicht. Rufen Sie Mutter Victoria an. Überprüfen Sie meine Identität, wenn Sie wollen. Aber lassen Sie mich bitte zu ihr.«
»Hey, hey, Moment mal«, mischte der Polizist sich verär-gert ein. »Ich bin hier derjenige,
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