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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Vision auf Sizilien in seiner Jugend flößten ihm noch mehr Angst und Zweifel ein. Es war, als hätte er ihn erwartet, um ihm eine Brücke zu dem Schlüssel, den er brauchte, zu schlagen – dem Schlüssel zum Verständnis einer Realität, die nun immer noch verborgen war. Verborgen, aber vielleicht doch sichtbar für seinen Geist und seinen Verstand.
    Da fiel ihm ein Gedicht ein, das, als er es als Heranwach-sender zum ersten und einzigen Male gelesen hatte, einen so überwältigenden Eindruck auf ihn gemacht hatte, dass er es nie wieder vergessen hatte, obwohl er sich weder an den Au-tor noch an den Titel oder an das Buch, in dem es enthalten war, erinnerte. Das Gedicht hatte sich ihm wie mit feuriger Schrift eingeprägt.
     
    Die Nacht ist gleißend hell, verglichen mit der verdüsterten Seele. Der Himmel ohne Sterne, ohne Mond wirkt lichtdurchflutet. Wie undurchdringlich ist die schwarze Trauer. Wie bleiern und entsetzlich. Was ist denn Glück? Wirklichkeit und Illusion. Für manchen existiert es. Dem Nächsten ist’s Chimäre.
    Wahnsinn. Blendwerk. Eine Träne öffnet kein Gitter. Bricht kein festes Schloss. Sie erschüttert die Herzen. Das ja. Doch das genügt nicht. Wie bleich ist der Held. Wie falsch, wenn ihm nur bleibt, sich in die Schlacht zu stürzen. Das Glück ist, zuweilen, nicht einmal eine Sehnsucht.

10
    Boston
    Audrey war bereits wach, als das Telefon klingelte, aber sie lag noch im Bett. Seit ihrem Besäufnis war sie kaum aufgestanden. Am Tag zuvor war sie weder zur Arbeit gegangen, noch hatte sie auf die Anrufe ihrer Sekretärin reagiert, die auch diesmal die Anruferin war.
    »Hallo, Susan«, sagte Audrey, als sie schließlich abnahm.
    »Na, endlich! Wo bist du gewesen? Gestern habe ich den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen, zu Hause und auf dem Handy, und ich musste alle deine Termine absagen.«
    »Gib mir eine Verschnaufpause, Susan, ja? Gestern hatte ich einen schlechten Tag.«
    Die Sekretärin arbeitete seit nunmehr drei Jahren für Aud-rey, und sie hatte bisher noch nicht erlebt, dass Audrey einen guten Tag gehabt hätte. Einen, an dem sie nicht am späten Nachmittag traurig und nachdenklich auf die Commonwealth Avenue hinausgeschaut hätte.
    »Schon gut, Audrey. Aber sag mir eins: Kommst du heu-te?«
    »Heute Vormittag nicht. Ich muss einen Patienten besuchen.«
    »Im Altenheim?«
    »Ja.«
    »Das bringt kein Geld.«
    Audrey hätte noch am selben Tag aufhören können zu arbeiten und von ihren Ersparnissen sowie dem Erlös aus dem Verkauf ihrer eleganten Wohnung ohne Geldsorgen bis ans Ende ihrer Tage leben können. Das musste Susan klar sein, doch sie war besessen davon, Audrey dazu zu bringen, Geld zu verdienen, und zwar nicht allein, weil ihr Arbeitsplatz da-von abhing.
    »Diese alten Leutchen bringen kein Geld, das stimmt …«, gab Audrey zu. »Versuch bitte, meine Vormittagstermine und die von gestern zu verlegen, ja?«
    »Wie du willst.«
    »Danke.«
    Audrey wollte schon auflegen, da fragte Susan: »Audrey, bist du noch da?«
    »Ja.«
    »Fast hätte ich’s vergessen: Ein gewisser Joseph Nolan hat angerufen und nach dir gefragt.«
    »Joseph Nolan?«
    Das war eine Überraschung.
    »Er hat gesagt, ihr hättet euch im Altenheim kennengelernt. Offenbar hat er deine Nummer von der Oberin bekommen, und er wollte wissen, ob er mit dir sprechen kann.«
    »Warum?«
    »Keine Ahnung. Eine Nachricht wollte er nicht hinterlassen, aber ich an deiner Stelle würde zurückrufen. Seine Stim-me klingt echt sexy! Sieht er gut aus?«
    Männer waren noch so eine fixe Idee von Susan. Die Liste ihrer Liebhaber war so umfangreich wie das Bostoner Tele-fonbuch. Sie war ständig auf der Suche nach einem Mann für Audrey, die daran gar nicht interessiert war. Das hatte sie ihr schon oft gesagt, aber Susan ließ sich nicht so ohne weiteres von etwas abbringen.
    »Wir reden später, Susan.«
    Audrey war nicht in Stimmung zum Plaudern. Sie legte auf. Eigentlich hätte sie gern noch ein Weilchen geschlafen, doch sie widerstand der Versuchung. Sie hatte Wichtiges zu tun.
    Manchmal wirkte das Altenheim der Vinzentinerinnen wie eine Art Fels. Das war jedenfalls Audreys Eindruck. Nichts veränderte sich je, oder falls doch, dann waren die Veränderungen so klein, dass sie nicht weiter auffielen. Die Zeit verging dort langsam. Audrey war sicher, könnte sie zweitausend Jahre in die Zukunft reisen, würde sie das vernachlässigte Backsteingebäude unverändert vorfinden. Es war wie die Py-ramiden, doch nicht etwa,

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