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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Himmel.
    »Mein Gott …«
    Kurz davor, völlig die Kontrolle über ihre zitternden Hän-de zu verlieren, begann sie, die Karten eine nach der anderen aufzudecken, immer schneller. Sie machte sich nicht mehr die Mühe, sie wieder unter den Stapel zu stecken. Sie ließ sie einfach zu Boden fallen.
    Sie ging sämtliche fünfundzwanzig Karten durch. Die Symbole an der Wand standen genau in der Reihenfolge, in der sie die Karten aufgedeckt hatte. Alle. Ohne jede Abwei-chung.
     
    Drei Stunden waren vergangen. Daniel lag im Bett, und Aud-rey und die Oberin kümmerten sich um ihn.
    »Das Fieber ist nicht mehr so hoch«, sagte Audrey.
    Das war eine beruhigende Nachricht, doch sie minderte nicht die Sorge der Nonne. Das Gesicht des alten Gärtners war völlig abgezehrt, und er hustete unaufhörlich. Die stump-fen Augen waren in den umschatteten Augenhöhlen kaum zu sehen. Audrey hatte ihm ein starkes Beruhigungsmittel gegeben, doch nicht einmal das hatte ihn völlig beruhigen können. Mit den Fäusten umklammerte er die Bettdecke, die er bis zum Kinn hochgezogen hatte. Der Blumentopf mit seiner Rose stand neben dem Bett auf dem Nachttisch.
    Der alte Mann hatte nicht ein einziges Wort gesagt, seit Audrey ihre Fassung zurückerlangt und ihn aus dem Thera-piezimmer hatte fortbringen können. Die Oberin, die man sofort von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt hatte, ordnete an, den Raum abzuschließen. Am nächsten Tag würden zwei der Schwestern, die mit der Instandhaltung des Altenheims betraut waren, jene scheinbar mit Blut geschriebenen Symbole entfernen. Als die Oberin sie sah, bekreuzigte sie sich unwillkürlich und murmelte ein kurzes Schutzgebet. Sie habe dort die Hand des Teufels gespürt, gestand sie Audrey, und diese hatte sehr stark den Eindruck, dass die Oberin diesen Verdacht nicht erst seit gestern hegte und auch nicht nur aufgrund dieses letzten Vorfalls.
    Auch an Daniels Händen entdeckten sie rote Flecken, die Audrey zunächst ebenfalls für Blut hielt. Doch zum Glück handelte es sich um Farbe – Daniel hatte die Zener-Symbole mit roter Farbe an die Wand gemalt. In einer Ecke des Raums entdeckten sie einen Pinsel und eine halbleere Farbdose, die Daniel aus dem Werkzeugschuppen entwendet hatte.
    Die Oberin streichelte dem alten Mann liebevoll über den Kopf. Sie saß auf einem Stuhl am Bett, während Audrey ste-hen blieb und fieberhaft nachdachte. Was sie da erlebt hatte, bewies mit absoluter Sicherheit, dass Daniel Telepath war. Mehr noch, es bewies, dass er die Fähigkeit der Fernsicht be-saß wie jene »übersinnlich begabten Spione«, von denen ihr Freund Michael gesprochen hatte. Nur so hatte er die Zener-Karten aus der Entfernung vorhersehen können. Doch diese Erklärung erschien Audrey nicht ausreichend. Ihr Herz beharrte darauf, dass sich hinter diesem außergewöhnlichen Vorfall noch eine tiefere Bedeutung verbarg. Vielleicht hatte die Oberin recht, und der Teufel hatte hier seine Finger im Spiel. Diese Möglichkeit schloss Audrey keineswegs aus. Sie glaubte an den Teufel, ebenso wie an Gott, denn sie war davon überzeugt, dass die Existenz des einen notwendigerweise die Existenz des anderen bedingte. Es gab kein Gutes ohne Böses, kein Weiß ohne Schwarz, kein Licht ohne Dunkelheit. Auch ihre akademische Ausbildung und ihre Vernunft hatten sie von dieser Überzeugung nicht abbringen können. Im Gegenteil: Sie erlaubten ihr, eine eindeutige Grenze zu ziehen zwischen Erkrankungen des Verstandes und solchen der Seele. Daniels Fall lag genau auf dieser Grenze. Noch war Audrey nicht bereit, zuzugeben, dass er besessen war, wie Mutter Victoria glaubte. Denn das hatte die Oberin mit ihrer Bemerkung über die Hand des Teufels gemeint, auch wenn sie es nicht deutlich aussprechen mochte. Audrey hingegen benötigte mehr Beweise. All ihren negativen Vorahnungen zum Trotz glaubte sie, das Vorgefallene sei ohne Rückgriff auf den Bösen zu erklären. Auch wenn man zu außergewöhnlichen Erklä-rungen greifen musste.
    »Ich … wollte … nicht …«, sagte Daniel schließlich.
    »Streng dich nicht an, mein Sohn«, sagte Mutter Victoria. »Ruh dich jetzt aus.«
    Daniel benötigte Ruhe. Audrey bestätigte die Empfehlung der Oberin mit einem Nicken. Doch er sprach weiter.
    »Da waren … Tote. Vie-le … Viele … Tote. Überall … waren … Tote. Federn …«
    Daniel beschrieb einen seiner Alpträume oder vielleicht auch eine Art Halluzination, die er gehabt hatte, als der ande-re Daniel von seinem Geist und seinem

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