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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Glauben teilten, der ihnen im Gegenzug für ihr Unglück die Erlösung verhieß. Audrey war neidisch. Und die innere Unruhe, die ihr seit ihrem letzten Gespräch mit Daniel zusetzte, kehrte machtvoller denn je zurück. Am Tag zuvor hatte sie ihn nicht besuchen wollen. Irgendetwas würde geschehen, wenn sie Daniel wiedersah. Nie zuvor hatte sie eine so starke Vorahnung gehabt. Audrey befürchtete etwas Schreckliches, dennoch war sie entschlossen, ihn an diesem Nachmittag wieder aufzusuchen. Sie widerstand der Versuchung, den alten Gärt-ner einfach zu vergessen und aufzugeben. Es war schon ko-misch, dass jemand, der keinerlei Hoffnung hatte, anderen Hoffnung geben konnte. Doch genau dies war zwischen ih-nen beiden geschehen. Daniel vertraute darauf, dass Audrey ein Heilmittel gegen sein Leiden besaß, und das war ein Wunder. Audrey fand, dem müsse sie gerecht werden.
    Aber es gab noch einen Grund, weshalb sie nicht aufgeben wollte: Ihre allzu menschliche Neugier drängte sie, herauszufinden, was das war, wovor ihre Intuition sie schützen wollte.
    Für den Weg von der Kirche zum Altenheim benötigte sie eine Viertelstunde. Nachdem sie ihren Wagen geparkt hatte, stieg sie nicht sofort aus, sondern blieb noch einige Minuten sitzen. Nun war sie ein wenig ruhiger. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, dass etwas Düsteres sie im Altenheim erwartete. Vielleicht war ihre Intuition doch nicht unfehlbar. Ehe sie ausstieg, sah sie in ihrer Tasche nach, ob sie die Zener-Karten, die Michael McGale ihr geliehen hatte, auch bei sich trug. Sie war fest entschlossen, sie einzusetzen, um herauszufinden, ob Daniel wirklich ein Telepath war.
    Audrey überlegte, wo Daniel sein könnte. Das war ihr bereits zur Gewohnheit geworden. Es war ein sonniger Tag, so dass ihre erste Wahl auf den Garten fiel. Dort fand sie mehrere alte Leute, aber nicht Daniel. Sie beschloss, es als Nächstes in seinem Zimmer zu versuchen, ebenfalls vergeblich. Damit blieb von seinen gewöhnlichen Aufenthaltsorten nur noch der Aufenthaltsraum, und dorthin ging Audrey nun. Die Psychiaterin verspürte nicht die geringste Unruhe. Man musste sich seinen Ängsten stellen, wenn man sie vertreiben wollte. Das sagte sie den Patienten in ihrer Praxis oft, und nun folgte sie ihrem eigenen Rat.
    Das Gefühl, alles sei in Ordnung, hielt an, obwohl sie auch im Aufenthaltsraum keine Spur von Daniel fand. Dort saßen ein halbes Dutzend alte Leute in ebenso alten Klubsesseln. In ihren Blicken lag die Sehnsucht nach einem Besucher, der nie kommen würde, und Audrey verspürte tiefes Mitleid mit ih-nen.
    Daniel schien Verstecken spielen zu wollen. Und nicht nur er. Auch die Oberin war nicht in ihrem Büro. Audrey kam der beunruhigende Gedanke, es könne etwas passiert sein. Sie stellte sich Mutter Victoria mit Daniel in der Notaufnahme eines Krankenhauses vor. Die Gesundheit des alten Mannes war seit dem Klosterbrand sehr fragil.
    Diese Möglichkeit wollte Audrey so schnell wie möglich ausschließen, ehe sie ihre neugewonnene Ruhe wieder verlor, daher beschloss sie, eine der anderen Nonnen zu fragen. Wie-der auf dem Korridor, fiel ihr auf, dass sie an einem Ort noch nicht nachgesehen hatte, und zwar im Therapieraum. Die halboffene Tür gab den Blick frei auf das dunkle Innere. Sie öffnete die Tür ein Stück weiter, tastete nach dem Lichtschal-ter und schaltete das Licht ein.
    Daniel hockte in einer Ecke des Raums. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und umarmte damit zugleich seine Rose, von der er sich nie trennte. Er schluchzte leise, und dabei schwang sein gesamter Oberkörper vor und zurück.
    »Au-dreyyy«, sagte er flehentlich, völlig verängstigt. »Hiiilf … miiir.«
    Audreys sämtliche Ängste kehrten abrupt zurück. Die hintere Wand war voller dunkelroter Zeichen. »Bitte, lass es kein Blut sein …«, flehte sie im Stillen. Die Zeichen stellten jeweils einen Kreis, ein Kreuz, ein Quadrat, einen fünfzackigen Stern und drei vertikale Wellenlinien dar: die Symbole der Zener-Karten.
    Eine absurde Idee schoss Audrey durch den Kopf. Sie zog Michaels Karten aus der Tasche. Daniel in seiner Ecke an der Wand wimmerte noch immer; er wagte nicht aufzustehen. Audreys Hände waren schweißnass. Sie konnte sich kaum überwinden, die erste Karte umzudrehen. Darauf war ein Kreis abgebildet, und das war auch das erste Symbol an der Wand. Mit zitternder Hand steckte Audrey diese erste Karte unter den Stoß, um die zweite aufzudecken. Ein Quadrat. Audrey hob die Augen zum

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