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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Quintessenz des Naturwissenschaftlers darstellten. Kein Verstand war so offen und zugleich so streng wie der eines Physikers. Zudem war Michael Experte auf dem Gebiet übersinnlicher Fähigkeiten.
    »Du weißt erstaunlich viel über dieses Thema, Michael.«
    »Ich glaube eben an die sogenannten übersinnlichen Fähigkeiten. Und weißt du wieso? Nicht, weil ich an Gott glaube, sondern weil ich das nicht tue. Diese Themen interessieren mich schon seit langem, und außerdem gehöre ich zu einer Forschungsgruppe namens DaVinci-Team hier in Harvard. Unser Ziel ist es, zu erklären, was das Wesen des Menschen und alles Lebendigen aus rein materieller Sicht ausmacht. Ich will eine physische Gleichung für das Leben finden, denn die Alternative, dass ein Gott uns erschaffen hat, erscheint mir unmöglich. Wusstest du, dass das größte wissenschaftliche Genie, Albert Einstein, glaubte, die Telepathie sei mehr als wahrscheinlich? Angeblich hat er einem Forscherkollegen erzählt, wenn man die Existenz der Telepathie und ähnlicher Fähigkeiten beweisen könne, würden die Menschen merken, dass sie alle mehr mit der Physik als mit der Welt des Überna-türlichen zu tun haben. Wir sind nur Elementarteilchen, die zusammen das Wesen bilden, das wir sehen, Audrey. Und alles, was wir machen und fühlen, alle unsere Fähigkeiten, gehorchen lediglich physikalischen Gesetzen, die ihrem innersten Wesen nach elementar sind. Und außerdem unausweichlich.«
    »Unser Schicksal ist festgelegt, meinst du das?«
    »Von dem Augenblick an, in dem wir beginnen zu existieren, ja.«
    »Wo kommt in dieser Theorie die Seele ins Spiel?«
    »Es gibt keine Seele.«
    Audrey sah aus dem Fenster auf die Straße. Die Sonne hat-te ihren Abstieg bereits zur Hälfte zurückgelegt. Die langen Schatten der Bäume und der Gebäude erstreckten sich über den Rasen, als wollten sie sich ausruhen.
    Michael irrte sich: Es gab eine Seele. Und Audrey war si-cher, dass ihre in die Hölle kommen würde, weil sie Gott hasste. Sie hasste ihn glühend, mit jeder Faser ihres Seins. Er hatte sie für den Tod jenes armen Mannes bestraft. Gott hatte geduldig acht Jahre gewartet. Er hatte Audrey gestattet, das Glück zu finden, nur, um es ihr wieder zu entreißen. Der Verlust ihres Sohnes war die Strafe. Audrey war ein weiblicher Hiob, dem Gott keinerlei Belohnung zum Ausgleich für sein Leid zugedacht hatte.
    »Doch, es gibt eine Seele, Michael. Ich versichere es dir.«
    Sie unterhielt sich noch eine Viertelstunde mit ihrem alten Freund. So lange benötigte Michael, um ihr ein simples Verfahren zu beschreiben, mit dem sie Daniels vermeintliche telepathische Fähigkeiten überprüfen konnte. Es war wirklich einfach und hätte sich in wenigen Minuten erklären lassen, doch Michael konnte nicht widerstehen und musste unbedingt noch alle möglichen überflüssigen Geschichten und Anekdoten rund um den Test zum Besten geben. Der Physiker bot an, Audrey zu helfen, doch sie lehnte höflich ab. Was Daniel und sie wussten, durfte sonst niemand erfahren. Als Audrey das Gebäude schließlich wieder verließ, hatte sie ei-nen Satz Zener-Karten in der Tasche. Da begegnete sie jemandem, mit dem sie nicht gerechnet hatte.
    »Joseph?! Was machen Sie denn hier?«
    Zwei kleine Kinder begleiteten den Feuerwehrmann, ein Junge und ein Mädchen, die Audrey neugierig musterten.
    »Ich habe in Ihrer Praxis angerufen, und Susan hat mir ge-sagt, dass Sie eine Verabredung mit einem der klugen Köpfe da drin haben. Da bin ich hergekommen, um sie zu treffen. Wir sind hergekommen, stimmt’s, Kinder?«
    Dann flüsterte Joseph Audrey ins Ohr: »Ich habe gedacht, vor den kleinen Süßen hier würden Sie mich bestimmt nicht abwimmeln.«
    Das war eine ziemlich gemeine List. Zudem mussten sie schon ziemlich lange hier gewartet haben.
    »Ich heiße Audrey«, stellte sie sich Josephs Kindern vor. »Und ihr?«
    »Ich bin Tiffany«, sagte das Mädchen.
    Sie war eine richtige kleine Dame, die Joseph nur entfernt ähnelte, blond und mit hellen Augen. Der Junge war allerdings ganz der Vater: dunkelbraune Haare und kastanienbrau-ne Augen.
    »Und wie heißt du, kleiner Mann?«
    »Howard.«
    »Hallo, Howard. Hallo, Tiffany. Es hat mich gefreut, euch kennenzulernen, aber jetzt muss ich leider gehen.«
    Diesmal flüsterte Audrey Joseph etwas ins Ohr: »Ich wim-mele Sie einfach trotzdem ab.«
    »Ach, kommen Sie. Sie können doch nicht so böse sein, wie Sie aussehen …« Joseph merkte, dass er das besser nicht gesagt hätte.

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