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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Erdgas das Unglück verursacht. Wenn es entweicht, sucht es sich seinen Weg durch die Leitungsschächte und kann im Keller austreten. Es ist um dreißig Prozent leichter als Luft, steigt also nach oben und füllt das Gebäude vom Dach bis zurück in den Keller, wo weiteres Gas nachströmt. Die Zündgrenzen, in denen das Mischungsverhältnis brisant wird, liegen bei 4,8 und 16,3 Prozent. Das ist zwar ein enger Bereich, aber irgendwo wird diese Konzentration immer erreicht. Und wie gesagt: ein kleiner Funke – Showtime.« Freyer strahlte.
    Anna fielen Geschichten ein von Feuerwehrleuten, die aus Spaß am Löschen Brände legten. Sie bemerkte: »Offenbar gefällt Ihnen die Arbeit.«
    »Ihnen Ihre nicht?«
    »Das heißt also, wir wissen im Prinzip nichts über die Ursache.«
    Freyer wirkte völlig unverdrossen. Er wies auf den Tatort. »Sie haben hier bei einem viereinhalbgeschossigen Wohnhaus von zehn Metern Breite geschätzte fünf- bis sechshundert Tonnen Schutt. Irgendwo darunter verbirgt sich die Antwort auf unser Rätsel.«
    Anna kletterte zu einem der Förderbänder, um gemeinsam mit Lohse nach den erwähnten Gasflaschen oder Elektrogeräten Ausschau zu halten. Mehr konnte sie im Moment nicht tun. Vielleicht sollte ich besser ins Präsidium fahren, dachte sie.
    Ein Pressehubschrauber kreiste dicht über dem Tatort und plötzlich begann der Schutt zu rieseln. Ein Hohlraum gab nach, unmittelbar neben Anna sackten Trümmer ein. Ein THW-Helfer rutschte und verletzte sich am Knöchel. Lohse alarmierte per Handy den Flughafen und veranlasste, den Luftraum über der Einsatzstelle zu sperren.
    »Und du bleibst besser drüben auf der Straße«, sagte er zu Anna.
    Im gleichen Moment krachte ein Teil des stehen gebliebenen Treppenhauses zusammen.
    Wieder wurden die Räumarbeiten unterbrochen. Die Helfer beratschlagten, wo weitere Stützbalken nötig waren.
    Anna zögerte, auf sichere Distanz zu gehen. Ein Stück Stoff schimmerte zwischen den Ziegelbruchstücken. Sie bückte sich danach und zerrte daran, doch das Ding klemmte fest.
    Sie winkte einen Hundeführer herbei. Das Tier schnupperte und schlug an. Feuerwehrleute räumten die Mauerteile beiseite. Das Ende eines Schlafsacks wurde sichtbar.
    Dann eine Hand, schwielig und grau.
    Fieberhaft wühlten die Männer weiter und legten den Verschütteten frei. Anna untersuchte ihn: Er war kalt, seine Finger bereits starr. Kein Herzschlag feststellbar.
    Der Mann im Schlafsack war tot.
    Drei Meter weiter bellte der Spürhund erneut die Trümmer an. Ohne zu scharren – kein gutes Zeichen. Anna ahnte, dass es ein langer Tag werden würde. Das Haus als unbewohnt einzustufen, war offenbar voreilig gewesen.
    Jetzt war es ihr Fall.

15.
    September 1976
    Als die Schicht offiziell begann und Wachdienstführer Baumann den Lagebericht der letzten vierundzwanzig Stunden vortrug, erregte ein Punkt die Aufmerksamkeit Winklers: die Fixerszene am Jan-Wellem-Denkmal im Herzen der Altstadt. In der Vorwoche hatte sich ein Süchtiger zu Tode gespritzt.
    Heute waren die Kollegen der Frühschicht aktiv geworden – drei Festnahmen, fünfzig Gramm sichergestellt.
    Wenn wir im Dunkeln schweben …
    Winkler legte das Schulterholster an und zog seine Jacke darüber. Dann bot er dem Wachdienstführer an, die Rauschgiftszene endgültig aufzumischen. Er polterte gegen Hippies und Sozialschmarotzer, bis Baumann zustimmte und überzeugt war, dass die Idee von ihm stammte.
    Vor der Sandkiste am Hinterausgang der Wache entnahm Winkler der Walter PPK das Magazin, zielte in die Kiste, zog trocken ab, schob das Magazin wieder in die handliche Waffe, repetierte durch und entspannte. Eine Patrone lag nun im Lauf.
    Der hohe Singsang am Telefon vor gut einer Stunde: Höchste Zeit, dass Sie den Bastard endlich aus dem Weg räumen .
    Eine Weile streiften Bernd Winkler und Michael Lohse erfolglos durch die Altstadt, bis sie begriffen, dass sich die Szene verzogen hatte. Daraufhin versuchten sie es im Hofgarten.
    Jenseits des Ententeichs erspähte Winkler einen Kerl im violetten Cordanzug, der Leute ansprach, die abgerissen genug wirkten, um als Fixer durchzugehen. Er machte Lohse darauf aufmerksam.
    »Sieht aus wie ein warmer Bruder«, kommentierte der Partner.
    »Ach komm, nicht schon wieder.«
    »Wenn ich mir vorstelle, dass mich so einer anfasst, kommt mir das Kotzen.«
    Eine Frau mit strähnigem Haar ließ sich von dem Cordanzug belabern und folgte ihm zu einer Parkbank. Ein pummeliges Mädchen machte ihnen Platz und

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