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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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schlenderte davon.
    Sonst geschah nichts.
    »Fehlanzeige«, sagte Lohse.
    Winkler hob die Hand. Vielleicht warteten der Dealer und seine Kundin auch nur auf etwas. Winklers Blick folgte dem Mädchen – höchstens dreizehn Jahre alt. Es verließ den Pfad und schlug sich ins Gebüsch. Bald tauchte das Gör wieder auf und kehrte zur Parkbank zurück.
    Winkler nickte. Sie stürmten los. Der Kerl im Cordanzug konnte türmen, aber die beiden anderen schalteten zu spät. Lohse fesselte sie mit Handschellen an die Bank.
    »Was haben wir denn da?«, triumphierte Winkler.
    Ein Hundertmarkschein und ein Briefchen mit weißem Pulver lagen auf der Erde. Das pummelige Kind und die Kundin verzogen keine Miene. Als hätten sie damit nichts zu tun.
    Winkler bat Lohse, auf die beiden aufzupassen, und suchte den Weg, den die Kleine gegangen war. Er strich über das Gelände und kämpfte sich durch Büsche, bis er an die Grube der U-Bahn-Baustelle gelangte. Zu weit – so lange war das Mädchen nicht weg gewesen.
    Er trat den Rückweg an und sperrte die Augen auf. Schließlich bemerkte er einen Haufen Reisig unter einem dornigen Strauch. Vorsichtig griff er zwischen die dürren Zweige.
    Weitere Briefchen. Acht Stück – etwa vierzig Gramm.
    Als er damit an die Bank trat, brach das Mädchen in Tränen aus. Es wimmerte, kaum vernehmbar: »Bitte sagen Sie meinen Alten nichts!«
    Zurück in der Wache spannte Winkler ein Formular in die Olympia und hackte in die Tasten. Lohse hing unterdessen am Radio und lauschte der Konferenzschaltung in die Fußballstadien. Die Fortuna verlor ausgerechnet gegen Köln und belegte nach vier Spieltagen den letzten Tabellenplatz.
    Pünktlich zum Schlusspfiff war Winkler fertig. Er zog das Formblatt aus der Schreibmaschine.
    »Auf geht’s!«
    »Wir sollten erst Baumann verständigen«, widersprach Lohse.
    »Du weißt genau, dass wir ihn jetzt nicht stören können.« Jeden Samstag ließ sich der Wachdienstführer bei einer Freundin in Bilk absetzen.
    Die Adresse, die ihnen die kleine Dealerin genannt hatte, befand sich im Stadtteil Oberkassel auf der anderen Rheinseite – eigentlich nicht mehr ihr Revier.
    Zehn Minuten Fahrt mit dem zivil lackierten Streifenwagen, einem klapprigen hellblauen Käfer.
    Unruhig kramte Lohse eine neue Zigarette aus der Packung, steckte sie an und inhalierte tief.
    »Angst, dass die Fortuna am Ende der Saison absteigt?«, fragte Winkler.
    »Das ist es nicht.«
    »Was dann?«
    »Wir sind keine Drogenfahnder. Findest du nicht, dass wir diesen Dealerring dem zuständigen Kommissariat überlassen sollten?«

16.
    Mai 2005
    Müde schloss Anna die Haustür auf. Picasso empfing sie mit einem Freudentanz. Sie kraulte ihm den Nacken, legte den Autoschlüssel auf den Küchentisch und musste gähnen.
    Bis zum Abend waren fünf weitere Leichen aus den Trümmern gezogen worden sowie ein schwerverletzter Mann, der beim Transport in die Klinik gestorben war. Gemeinsam mit Beamten aus anderen Kommissariaten hatte das KK 11 eine zwölfköpfige Ermittlungskommission gebildet. Sie hatten den Hausbesitzer vernommen, einen Bauunternehmer namens Frank Gehring. Angeblich handelte es sich bei den sieben Verschütteten um ukrainische Arbeiter, die Gehring illegal auf seinen Baustellen beschäftigt und im ersten Stock der Schützenstraße 18 untergebracht hatte. So viel gab er zu. Mit der Gasexplosion wollte er nichts zu tun haben. Natürlich nicht.
    Anna holte frisches Futter aus dem Kühlschrank, doch Picassos Napf war noch halb voll. Dann nahm sie den typischen Geruch wahr, der verriet, dass sich ihr Vater im Haus aufhielt.
    Sie fand ihn im Arbeitszimmer, wo er eine Havanna qualmte und in den Zeitungen der vergangenen Tage blätterte. Die aufgekrempelten Ärmel brachten gebräunte Haut zur Geltung, die schwere Uhr am Handgelenk saß locker. In seiner Leinenhose und dem bis zur Brust aufgeknöpften Hemd wirkte er wie ein Urlauber, nicht wie ein Patient.
    »Hallo, Prinzessin«, grüßte er.
    »Du hast abgenommen«, antwortete sie.
    »Ja, ich hab viel nachzuholen.«
    »Geh es langsam an.«
    »Um ehrlich zu sein, ich horche den ganzen Tag in mich hinein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich ein Infarkt anfühlt. Als würde dich etwas von innen heraus zerstören. Für die Ärzte war es nur ein Routinefall. Sie haben einen Stent in die verstopfte Ader gepflanzt und mich schon am übernächsten Tag aufs Trimm-dich-Rad gesetzt. Natürlich haben sie Recht damit, dass ich nicht einrosten darf. Ich brauche

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