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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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und tat seinen Job. Als er der Leiche die Kleidung vom Leib schnitt und sie auf den Rücken drehte, griff Anna erneut zur Kamera.
    Unter der Körperbehaarung schimmerten Totenflecken. Der Arzt presste gegen Brust und Schultern. Die violette Färbung verging kaum, was etwa auf den gleichen Todeszeitraum hinwies, den Anna bereits festgestellt hatte.
    Ihr Mobiltelefon klingelte. Sie rechnete mit einem Kollegen der Spurensicherung, der die Straße nicht fand, aber es war Ritter, der Beamte der Kriminalwache, der nebenbei Wohnungen vermakelte.
    »Hab ich dich geweckt?«, fragte Ritter.
    »Nein.« Anna stellte fest, dass die Sonne bereits aufgegangen war, ohne dass sie es im Scheinwerferlicht wahrgenommen hatte. Der Kontrast des Trümmerareals zum Blau des Himmels wirkte surreal.
    Die Stimme im Handy fragte: »Zwei bis drei Zimmer Altbau mit Balkon in guter Lage, maximal tausend Euro im Monat?«
    »Achthundert, keinen Cent mehr.«
    »Du wirst Kompromisse machen müssen.«
    »Man sagt, es gibt Vermieter, die mit dem Preis runtergehen, wenn sie einen Polizeibeamten als Mieter kriegen.«
    »Bist du bereit, auf Kinder aufzupassen oder Hausaufgabenbetreuung zu machen?«
    »Meine Güte, nein.«
    »Weißt du, mit dem Polizistenrabatt ist das heutzutage so eine Sache.«
    Anna vermutete, dass es Ritter nur um seine Provision ging. Ein Makler wie alle anderen auch. Sie fragte: »Warum rufst du an, wenn du nichts hast?«
    »Es gibt etwas in Derendorf, Gneisenaustraße. Zauberhafte Dachterrasse und die U-Bahn fast vor der Tür.«
    Sie vereinbarten einen Besichtigungstermin für den Abend.
    Zuletzt sagte Ritter: »Ich glaub, wir kennen uns. Bei mir fällt nur nicht der Groschen, woher.«
    Anna ging nicht darauf ein. Sie erinnerte sich zu gut.
    Der Rechtsmediziner war fertig und kletterte ächzend aus der Grube.
    »Und?«, fragte Anna.
    »Massive Einwirkung von stumpfer Gewalt gegen Rumpf und Schädel, wie nicht anders zu erwarten, wenn über einem das Haus einstürzt.«
    »Ist das die Todesursache oder erstickte er am Gas?«
    »Das wird die Obduktion ergeben. Falls sich das überhaupt noch feststellen lässt.«
    Die Bestatter bargen den Toten aus dem Kellerloch, legten ihn auf die Rollbahre und schoben ihn zu ihrem Transporter. Anna sicherte die Kleidung für das Labor. Der Mediziner stopfte seinen Kittel in den Koffer und klopfte sich Staub von der Hose. Anna bat ihn, die Obduktion der neuen Leiche vorzuziehen. Die illegalen Bauarbeiter konnten warten.
    Dann wandte sie sich an Freyer, den Experten. Ein vages Gefühl beschäftigte sie – die Details erschienen ihr nicht ganz stimmig.
    Anna sagte: »Wenn er zum Zeitpunkt der Explosion noch nicht tot war, müsste viel mehr Blut zu sehen sein.«
    »Das kann ich nicht beurteilen.«
    »Er kann aber auch nicht erstickt sein, bevor das Haus in die Luft flog.«
    »Warum?«
    »Wenn ich mich an Ihren gestrigen Vortrag richtig erinnere, liegt die Zündgrenze bei Erdgas deutlich niedriger als die Konzentration, die zum Ersticken führt. Also müsste es gekracht haben, bevor der Mann an Sauerstoffmangel starb.«
    »Nicht unbedingt. Die Konzentration war außerhalb des abgedichteten Raums viel geringer. Stellen wir uns einen Kühlschrank irgendwo im Keller vor, dessen Thermostatschalter sich alle zehn oder zwanzig Minuten mit Funkenentwicklung einschaltet.«
    »Aber sagten Sie nicht, dass dieser Raum hier Ground Zero sei? Aufgrund der Art und Weise, wie Wände und Decke an dieser Stelle zerstört sind?«
    »Sie haben Recht. Bleibt die Möglichkeit, dass in Kopfhöhe bereits eine hohe Konzentration erreicht war. Erdgas steigt nach oben. Die Zündquelle kann aber in Bodennähe gelegen haben. Er wird ohnmächtig, kippt um und kurz darauf fliegt alles in die Luft.«
    »Welche Temperatur ist eigentlich nötig, um Erdgas zu zünden?«
    »Bei dem Gemisch, das die Düsseldorfer Stadtwerke verwenden, sind es 617 Grad Celsius.«
    »Ganz schön heiß.«
    »Eine Kerzenflamme oder ein normaler Funke können locker auf das Doppelte kommen. Man unterschätzt das oft.«
    »Okay, noch eine Frage: Wenn die Kammer mit Tape abgedichtet war und sich das Gas nur in einem Raum befand, reichte dann überhaupt der Druck der Verpuffung aus, um das gesamte Gebäude zusammenbrechen zu lassen?«
    »Offenbar. Ein Statiker kann das mal durchrechnen.«
    Anna nickte, aber ihre Zweifel waren nicht gewichen.
    Die Helfer von THW und Feuerwehr gruben weiter. Viele Trümmer gab es in diesem Bereich nicht mehr. Ein Gerät in der Größe

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