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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Wochen bei einem Empfang in der Wuppertaler Stadthalle kennen gelernt hatte. Winkler war dazu verdonnert gewesen, den Personenschützer eines Ministers zu spielen – als könne ein Schutzpolizist die Baader-Meinhof-Bande aufhalten. Johanna hatte ihren Bruder begleitet. Ihr selbstbewusstes Auftreten zwischen all den Wirtschaftskapitänen und Landesfürsten hatte Winkler beeindruckt. Man munkelte von Hippie-Eskapaden der Frau, ausgeflippten Reisen um die Welt.
    Winkler sprach sie an: »Wo finde ich Edgar Schwab?«
    »Er meditiert. Du kannst ihn jetzt nicht stören.«
    »Es ist wichtig.«
    Irritiert blickte sie auf. Eine kleine, steile Falte wuchs zwischen ihren Brauen. »Edgar gibt vor dem Auftritt keine Interviews. Er ist ein sehr sensibler Künstler und wir sollten das Karma des Abends respektieren.«
    Winkler wandte sich zum Gehen.
    Die Frau ergänzte: »Ich kann dir für später einen Termin besorgen. Vielleicht sogar ein Einzelgespräch.«
    Er nickte und verließ den Raum. Im Flur traf er Vogel und Lohse, der gerade seine Latexhandschuhe abstreifte.
    »Und?«, fragte Winkler.
    »Im Bad«, antwortete der Partner. »Ein Stockwerk höher, wo die Privaträume liegen.«

20.
    Mai 2005
    Anna stellte den BMW auf dem Schulparkplatz ab. Gleich neben ihr parkte ein uralter Kombi mit Neusser Kennzeichen, kantig und moosgrün – der Schwedenpanzer, den Michael Lohse fuhr. Anna griff nach ihrer Tasche und schloss das Auto ihres Vaters ab.
    Zwei voll beladene Lkw rumpelten ihr entgegen, ein Generator brummte. Sofort schmeckte sie Staub auf der Zunge. Wieder kamen ihr zerbombte Häuser in Bosnien in den Sinn, Bilder von Erdbeben, der elfte September in New York. Für einen Moment wurde ihr schwindelig.
    Sie schloss kurz die Augen und rief sich die Worte des Kollegen aus der Leitstelle in Erinnerung: Explosionsstelle, Räumarbeiten, weitere tote Person .
    Mit festem Schritt ging Anna auf das Trümmergrundstück zu.
    Es war stärker ausgeleuchtet als gestern. Batterien von Scheinwerfern hingen an hohen Gestellen. Der Schuttberg war deutlich geschrumpft. Dutzende gelb behelmter Männer des Technischen Hilfswerks trugen die Mauerteile ab und ließen sie auf die Förderbänder poltern.
    Am Rand hatte sich eine Gruppe von Leuten versammelt, darunter Lohse, der Anna herbeiwinkte. Er und sein Partner Norbert Immel waren vom KK 14 abgeordnet worden, um die Ermittlungskommission Schützenstraße zu unterstützen.
    Anna sah, dass die Kellerdecke bereits zum Teil freigelegt worden war. Eine Betonfläche, die in metergroße Bruchstücke zerplatzt war.
    Michael Lohse kniete sich vor dem breitesten Riss hin und leuchtete mit der Taschenlampe in einen Hohlraum. Er räusperte sich und fragte: »Siehst du die Turnschuhe?«
    Da unten lag ein Mensch.
    Der Lichtfleck zitterte, Lohse konnte die Lampe nicht ruhig halten. Ihm geht es weit schlechter als mir, dachte Anna. Womöglich hatte er seit gestern durchgearbeitet.
    Er sagte: »Die Hunde haben die Leiche gewittert und angeschlagen.«
    »Bist du sicher, dass die Person tot ist?«
    Lohses Partner Immel wies auf eine Stange, die über ein Kabel mit einem Monitor verbunden war. »Eine Endoskopiekamera der Berufsfeuerwehr Dortmund«, erklärte er. »Damit sind wir bis an den Kerl rangekommen. Sieht ziemlich übel aus. Der Kopf hat einiges abgekriegt. Das Ding verfügt auch über ein Mikro. Kein Mucks vernehmbar. Keine Atemgeräusche, kein Herzschlag.«
    Weder der Bereitschaftsdienst der Kriminaltechnik noch die Rechtsmedizin waren bislang verständigt worden. Anna holte es nach.
    »Hallo, Frau Winkler«, grüßte sie eine dritte Männerstimme, viel zu fröhlich für Uhrzeit und Anlass, wie Anna fand.
    Sie erkannte Jonas Freyer, den Sachverständigen, und fragte: »Haben wir endlich genauere Erkenntnisse über die Ursache der Explosion?«
    »Benzin war es nicht. Wir haben uns von den Stadtwerken die Pläne geben lassen und arbeiten uns zum Anschluss der Erdgasleitung vor. Wo der Tote liegt, ist übrigens auch das Explosionszentrum. Sozusagen unser Ground Zero. «
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie können sehr schön das alte Gewölbe aus den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erkennen. Eine Kappendecke, die man irgendwann mit Beton verstärkt hat. Der Druck hat sie angehoben und zerlegt. Zugleich wurden alle Mauern da unten nach außen gedrückt. Sehen Sie’s?«
    Anna missfiel die Mischung aus Entdeckerstolz und Belehrungseifer.
    Freyer fuhr fort: »Also wurde hier das Gasgemisch gezündet

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