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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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dürfen.
    »Was gibt’s?«, fragte Anna den Kollegen. Erschrocken stellte sie fest, wie schleppend ihre Stimme klang. Sie hoffte, dass es dem Mann in der Leitstelle nicht auffiel.
    »Die Explosionsstelle Schützenstraße«, antwortete er. »Bei den Räumarbeiten ist eine weitere tote Person entdeckt worden.«
    Anna streifte die verstaubten Jeans von gestern über und packte ihre Wanderstiefel in eine Tüte, um für das Klettern in den Trümmern gerüstet zu sein. Ohne Frühstück fuhr sie los.
    Die Ruhe, mit der die dicke Limousine ihres Vaters über die Autobahn rollte, tat Anna gut. Sie versuchte, sich auf den Fall zu konzentrieren, und rekapitulierte ihr Wissen über Gase und Zündgeschwindigkeiten, über die Geschäftspraktiken des Hausbesitzers und die persönliche Habe der Todesopfer, die bislang aus dem Schutt gebuddelt worden war.
    Den achten Schwarzarbeiter hatte der Bauunternehmer verschwiegen.

19.
    September 1976
    Es war dunkel geworden. Holpriges Pflaster, das vor einer Brachfläche endete, tief im Süden der Stadt. Vor den Scheinwerfern tauchten Stapel alter Reifen auf, Gestrüpp und rostige Ölfässer. Ende der Straße.
    Bernd Winkler begann zu glauben, der junge Reporter habe sich geirrt. Dann entdeckte er beim Wenden eine Abzweigung, die zu einem Altbau führte, der in zweiter Reihe hinter flachen Lagerhallen aufragte. Im Licht einer einsamen Laterne wirkte das Gebäude wie ein besetztes Haus: gesprayte Figuren auf dem Putz, ein Transparent hing unter den Fenstern – Schwarze Flammen II .
    Die Stoßdämpfer des Käfers quietschten, als er durch die Schlaglöcher schaukelte. Das Abblendlicht streifte teure Karossen, die in großer Zahl vor der Bruchbude parkten. Mercedes-Limousinen und schnittige Sportwagen: Lotus, Triumph, sogar ein Lamborghini Countach, den Michael Lohse im Vorbeifahren staunend kommentierte.
    Aus dem Schatten neben dem Eingang trat der Nachwuchsreporter. Er trug einen Parka und war schwer behängt mit zwei Fotoapparaten. Musik drang aus geöffneten Fenstern: Gitarren, Getrommel, ein dröhnender Bass. Winkler legte seinem Partner das Heroinpaket auf den Schoß und trug ihm auf, in ein paar Minuten nachzukommen.
    »Mir ist nicht wohl bei der Sache«, antwortete der Kollege. Winkler gab ihm zur Aufmunterung einen Klaps auf die Schulter.
    Mit Alex Vogel im Schlepptau stieg er die Treppe hoch. Im ersten Stock zwei Türen. Er pochte gegen die, aus der die Musik wummerte. Eine Frau öffnete, musterte die Neuankömmlinge und ordnete ihre Lockenpracht. »Habt ihr was zum Rauchen dabei?«
    Der junge Reporter zückte seine Einladung, doch wider Erwarten kümmerte sich keiner darum. Winkler trat ein und achtete darauf, dass die Tür nicht ins Schloss fiel.
    Er schob sich durch die Menschenmenge, dem Lärm entgegen. Kellner boten Sekt und Häppchen an. Die Wände waren mit Plakaten tapeziert – immer wieder fiel Winklers Blick auf das Konterfei Edgar Schwabs, hager mit entrücktem Blick, ein Tuch nach Piratenart um den Kopf geschlungen. Damit kaschiere der Bandleader seine abstehenden Ohren, hieß es in der Presse. Winkler war gespannt darauf, dem Musiker gegenüberzutreten, den er bisher nur aus den Medien kannte.
    Langhaarige beiderlei Geschlechts tummelten sich – Winkler versuchte, die Leute nach ihrer Kleidung zu klassifizieren: Plattenbosse, Medienleute und Studenten mit Armbinden, auf denen Ordner stand – total stoned und kichernd.
    Ein Typ mit dicker Zigarre wippte auf den Zehen und dozierte vor einer Goldenen Schallplatte hinter Glas. Journalisten und Fotografen umringten ihn.
    Winkler landete in einem Saal, der zum Teil mit Kissen ausgelegt war. Etwa fünfzig Leute lungerten herum und sahen einem halb nackten Kerl zu, der auf der Bühne zu Synthesizer-Klängen Bongo-Trommeln bearbeitete. Winkler wehrte ab, als man ihm einen Joint aufdrängen wollte.
    Ganz offensichtlich war der Trommler das Vorprogramm. Winkler glaubte, eine nervöse Gespanntheit des Publikums zu spüren. Er wurde sich bewusst, dass Edgar Schwab und seine Band eine wirklich große Nummer waren. Womöglich zu groß – noch konnte er die Aktion abblasen.
    Eine Frau fiel ihm auf, etwa in seinem Alter, die am Fuß der Bühne Kerzen anzündete. Ein einfaches Gewand aus grün gemustertem Batikstoff umhüllte sie. Als sie sich aufrichtete, erkannte er, wie schlank und hoch gewachsen sie war. Ihr braunes Haar reichte bis auf den Hintern.
    Es war Johanna, die Schwester des Staatssekretärs Uwe Strom, den er vor einigen

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