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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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der Hemden und Kaschmirpullis lagen. Eine Schublade stand auf, gefüllt mit unzähligen Golfbällen. Davor eine weitgehend nackte Schaufensterpuppe, nur lässig drapiert ein orangefarbenes Sakko mit Seidenschal. Hübsche indische Muster. Anna fragte sich, ob die Ausbeulung im Schritt der Puppe normal war. In der Hand hielt sie einen Golfschläger, zu ihren Füßen lagen weitere Bälle. Anna erspähte Preisschilder: Das Sakko kostete achthundert Euro, fast halb so viel der Schal.
    »Selbst wenn ich Geld drucken könnte, würd ich so was nicht anziehen«, sagte Bruno.
    Glöckchengeklingel beim Eintreten. Ein weitläufiger Laden, gedämpfte Musik vom Band – Anna erkannte die Stimme von George Michael. Im Hintergrund gaben sich zwei Verkäufer geschäftig, Kundschaft war keine da.
    Ein kleiner gepflegter Herr im Anzug kam ihnen entgegen. Es war Franz Dorau. Anna schätzte ihn auf knapp sechzig Jahre. Seinen Hals zierte ein Tuch im gleichen Design wie der Schal im Fenster.
    Sie wies sich aus und stellte ihren Kollegen vor.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Kennen Sie Peter Uhlig, den Kunstprofessor?«
    Dorau riss die Augen auf und fingerte am Halstuch. »Ja, wieso? Ist etwas mit ihm?«
    »Herr Uhlig wurde ermordet.«
    Der Ladeninhaber erstarrte. Seine Wangen zitterten. Anna wusste, dass es unmöglich war, eine Todesbotschaft auf schonende Weise beizubringen. Der Tod war immer brutal, Worte änderten nichts daran.
    Anna sagte: »Sie waren befreundet, wie ich hörte.«
    »Irgendwie hab ich so etwas beinahe befürchtet«, antwortete der Geschäftsinhaber. Er hob den Kopf und blickte Wegmann entschlossen ins Gesicht.
    »Warum?«, fragte Anna.
    Dorau sprach zu ihrem Kollegen: »Natürlich nicht, dass er ermordet worden ist. Aber dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Seit vorgestern habe ich Peter nicht mehr erreicht. In der Akademie war er auch nicht. Dabei hatte er jede Menge zu tun. Übermorgen wird im Museum Kunstpalast eine Retrospektive seiner Arbeiten aus drei Jahrzehnten eröffnet. Ich hatte schon überlegt, die Krankenhäuser der Stadt anzurufen. Ermordet, unglaublich! Wer hat es denn getan?«
    »Das wissen wir noch nicht«, sagte Wegmann.
    »Gestern wollte er mit der Vorbereitung der Ausstellung fertig sein und wir hatten vor, das gemeinsam zu feiern. Es hat noch nie zuvor eine Einzelschau mit Peters Arbeiten in dieser Stadt gegeben. Der Prophet im eigenen Lande, verstehen Sie? Immer wieder habe ich versucht, ihn zu erreichen. Schrecklich. Wann ist es passiert?«
    »In der Nacht auf gestern. Wo waren Sie da?«
    Dorau hob die Augenbrauen. »Zu Hause. Sie verdächtigen doch nicht mich, oder?« Er schritt zum Kassentisch und griff nach einer Champagnerflasche, die dort im Kühler stand. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Oder Ihrer Assistentin?«
    Anna lehnte ab und bat Wegmann, die Personalien der beiden Verkäufer aufzunehmen, die vor dem Regal mit reduzierten Einzelteilen Pullover falteten und dabei lange Ohren machten. Auf diese Art begriff der Klamottenhändler vielleicht, dass sie nicht Wegmanns kleine Kofferträgerin war.
    Während der Kollege ihrer Aufforderung nachkam, wiederholte Anna: »Sie waren mit Peter Uhlig befreundet?«
    »Ja.«
    »Lebensgefährten?«
    »Das kann man so sagen.«
    »Seit wann?«
    »Im August werden es fünfzehn Jahre.« Dorau goss sich ein Glas ein und trank es auf einen Zug leer.
    Anna sagte: »Jetzt kommt die Frage nach den Feinden.«
    »Klar. Aber Peter hat … Er hatte keine Feinde. Er war ein feiner Mensch. Ging nicht viel aus. Kümmerte sich um seine Kunst.«
    »Wissen Sie, was ihn mit dem Musiker und Komponisten Edgar Schwab verband?«
    »Die beiden waren sehr eng befreundet. Den Selbstmord Schwabs vor rund drei Jahrzehnten hatte Peter bis heute nicht verwunden. Er war der festen Überzeugung, Polizisten hätten damals seinem Freund falsche Indizien untergeschoben. Ein Trauma, das er nie richtig verarbeiten konnte, verstehen Sie?«
    Plötzlich erkannte Anna die Verbindung. Karins Brief: Die alte Geschichte, die deine Mutter zum Teil bestätigt. Womöglich war der Kunstprofessor der Kerl gewesen, der Karin so beunruhigt hatte – Daniels Bekannter lässt nicht locker.
    Peter Uhlig, die Razzia gegen Schwab, ihr eigener Vater – ein Kribbeln stieg in Anna auf.
    Falsche Indizien, bis heute nicht verwunden.
    Sie fragte: »Sagt Ihnen der Name Karin Lohse etwas?«
    »Ist sie verwandt mit dem Kunststudenten, der vor zwei Jahren ermordet wurde?«
    »Die Mutter.«
    »Ich bin ihr nie

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