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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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schrumpfen die Umsätze im Einzelhandel. Dorau hat keinen Konzern im Rücken wie Prada oder Armani. Und die Mieten an der Kö gehören zu den höchsten der Republik. Hatte Uhlig vielleicht eine Lebensversicherung zugunsten seines Lebensgefährten? Wer profitiert vom Tod des Videokünstlers?«
    »Handbuch für Mordermittlungen, Regel Nummer eins.«
    »Es wäre ein Motiv.«
    »Klar. Vorausgesetzt, es gibt für Dorau tatsächlich etwas zu erben.«
    »Eine andere Sache finde ich allerdings bedenkenswert.«
    Anna musterte Bruno ohne Lust, ihn zu fragen, was er meinte. Der Exboxer spielte sich mal wieder auf.
    Schließlich tat sie es doch. »Welche Sache?«
    Der Kollege bog in die Neusser Straße. Zur Linken glitt das Innenministerium vorbei, ein Komplex aus Glas und Aluminium, einige Fenster noch erleuchtet. Bruno antwortete: »Dorau hat Daniel Lohse erwähnt, wie ich mitbekommen habe. Heißt das, dass sich Uhlig und der junge Maler kannten?«
    »Ja, recht gut sogar. Daniel hat ein Bild für ihn gemalt und ihm zum Geburtstag geschenkt. Es hängt in Uhligs Loft.«
    Bruno gab Gas. Auf der rechten Seite erhaschte Anna einen Blick auf das Landtagsgebäude mit seinen runden Sitzungssälen.
    Gleich darauf näherten sie sich dem Polizeipräsidium – der festungsartige Backsteinbau aus den späten Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts wirkte von außen düster und abweisend.
    Anna zog das Funkgerät aus dem Handschuhfach und meldete sich bei den Kollegen der Hauptwache Südwest, die im Präsidium untergebracht war. Das Tor zum Innenhof schwang auf.
    Bruno ließ den Passat über das Pflaster rollen und sagte: »Mich würde interessieren, ob Uhlig weitere Bekannte hatte, die uns mehr über seinen Verfolgungswahn erzählen können.«
    »Ein Psychopath namens Odenthal hat Daniel abgeschlachtet. Nicht mein Onkel.«
    »Klar, wir haben ja Odenthals Geständnis.«
    Etwas in Brunos Tonfall gefiel ihr nicht. Anna fragte: »Was willst du damit sagen?«
    Der Kollege fand eine Parklücke und schaltete den Motor ab.
    Anna hasste es, jeden Satz einzeln von Wegmann zu erbetteln. Sie bohrte nach: »Was ist mit dem Geständnis?«
    »In der Nacht, als wir ihn zum dritten oder vierten Mal vernahmen. Thilo machte auf dem Feldbett in seinem Büro ein Päuschen und ich hörte mir die Bänder an, um zu überlegen, wie wir Odenthal vielleicht doch noch packen konnten. Weißt du, wer da aufkreuzte?«
    »Wer?«
    »Schwörst du, dass du mit niemandem darüber redest? Schon gar nicht mit unserer Chefin?«
    Anna versprach es und spürte, wie das Ziehen in ihrem Magen stärker wurde.
    Wegmann hielt mit beiden Händen das Lenkrad umklammert und starrte auf die Wand vor der Kühlerhaube. »Es waren zwei Hauptkommissare, die gar nicht zur Mordkommission gehörten. Michael Lohse und dein Daddy, Bernd Winkler. Sie kamen, um mich für eine Weile abzulösen.«
    »Was redest du da? Mein Vater ist kein aktiver Polizist mehr. Er sitzt im Landtag.«
    »Eben. Die rechte Hand von Uwe Strom, dem Ministerpräsidenten, nicht wahr?«
    »Warum hast du das zugelassen?«
    »Jetzt denke ich auch anders darüber, aber damals fand ich …«
    »Willst du damit sagen, dass mein Vater Odenthal zum Geständnis genötigt hat?«
    »Anna, ich hab nicht nachgefragt, was im Zimmer vor sich gegangen ist. Thilo dachte, ich hätte Odenthal zu dem Geständnis bewegt. Ich ließ ihn in dem Glauben. Wir waren hundemüde und einfach nur erleichtert.«
    Sie schluckte an dem Kloß, der plötzlich in ihrem Hals steckte. »Es war spät in der Nacht, die Nerven lagen blank und das Geständnis des Psychopathen bestätigte nur, was ohnehin jeder vermutete.«
    »Du sagst es, Luna.«
    »Bruno, du spinnst.«

33.
    Januar 2003
    Anna hatte sich verspätet. Der Marktplatz war voller Demonstranten, vielleicht sechs- oder siebentausend, schätzte sie. Auf der Bühne vor dem Rathauseingang spielte ein Musiker orientalisch klingende Melodien auf einem Synthesizer. Anna bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Viele Leute hielten selbst gemachte Transparente hoch oder hatten sich Pappschilder um den Hals gehängt: Krieg ist doof oder Kein Blut für Öl.
    Sie hatte sich mit Karin Lohse vor dem Reiterstandbild des Kurfürsten Johann Wilhelm verabredet, den die Düsseldorfer Jan Wellem nannten. Die riesige Bronzefigur, laut Sockelinschrift ein Geschenk der dankbaren Bürger, hatte der eitle Barockregent in Wirklichkeit selbst in Auftrag gegeben und zur Finanzierung die Steuern erhöht. Anna erreichte den Zaun, der das

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