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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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abweisenden Ausdruck an. Er wollte den Weg fortsetzen, fühlte sich aber am Arm zurückgehalten.
    „Petermann!“ erklang es in bittendem Ton.
    „Herr Baron!“
    „Nicht so, nicht so! Sie ahnen nicht, was ich gelitten habe!“
    „Aber Sie ahnen ungefähr, was ich leiden mußte?“
    „Ich wollte ja zuspringen, aber Sie selbst hatten mir den Weg dazu versperrt.“
    „Womit denn?“
    „Durch Ihr Geständnis.“
    „Ach so! Nun, ich habe dieses Geständnis mit meiner Ehre, meiner Stellung und vier Jahren Zuchthaus bezahlt!“
    „Ich werde alles, alles vergelten!“
    Petermann musterte den Lieutenant vom Kopf bis zu den Füßen.
    „Wirklich?“ fragte er. „Wollen Sie das?“
    „Ja, gewiß!“
    „So sagen Sie mir doch einmal, wie Sie das anzufangen gedenken!“
    „Da sollen Sie mir raten.“
    „Nun, was meine Stelle wert war, daß läßt sich ja taxieren; aber was zahlen Sie mir für meine verlorene Ehre?“
    „Petermann!“
    „Und für die Tage der Gefangenschaft. Für den stillen Harm, der mich verzehrte, für die Knechtschaft und Erniedrigung, die ich zu tragen hatte, für alles, alles, was sich unmöglich beschreiben läßt?“
    „Seien Sie nicht zu grausam!“
    „Waren Sie weniger grausam? Ich habe Stunde für Stunde gewartet, daß Sie kommen würden, um dieses Geständnis umzuwerfen – vergebens!“
    „Ich muß Ihnen alles sagen und erzählen. Vielleicht sehen Sie dann meine Unterlassungsgründe nicht mehr so an wie jetzt. Aber dazu ist hier der Ort nicht. Kommen Sie nach der Stadt zurück; wir wollen –“
    „Nein, nein! Ich habe keine Zeit. Wir sind geschiedene Leute, Herr Baron!“
    „Und dennoch bleibe ich bei meiner Bitte! Sie dürfen nicht so hartherzig sein, mir die Erlaubnis, gutzumachen, zu versagen!“
    „Ich danke! Ich selbst habe alles gutgemacht. Was jetzt geschehen könnte, würde überflüssig sein.“
    Er riß sich gewaltsam los und eilte fort. Der Lieutenant machte eine Bewegung, als ob er ihm schnell nachfolgen wolle, besann sich aber, drehte sich scharf auf dem Absatz um und ging nach der Stadt zurück.
    Als Petermann den Bahnhof erreichte, war es noch zu früh zum Zug. Er konnte noch kein Billet bekommen, suchte darum die Bahnrestauration auf und ließ sich ein Glas Bier geben – das erste seit vier Jahren.
    Er hatte kaum einige Minuten da gesessen, so kam ein zweiter Gast, ein junger Mann, der höflich grüßte und bei seinem Anblick zu stutzen schien. Auch Petermann kam es vor, als ob er ihn bereits einmal gesehen habe.
    Der junge Mann kam näher und fragte:
    „Würden Sie mir erlauben, bei Ihnen Platz zu nehmen?“
    „Ich kann nichts dagegen haben. Hier setzt sich ein jeder dahin, wo es ihm beliebt.“
    „Das heißt, besser wäre es, ich suchte mir einen anderen Platz? Nicht wahr?“
    „Nehmen Sie es, wie Sie wollen!“
    „Nun, ich gestehe Ihnen, daß ich zu Ihnen komme, weil ich mich für Sie interessiere.“
    „Ah! Warum?“
    Der andere setzte sich, ließ sich ein Glas Bier geben und sagte dann, als der Kellner sich wieder entfernt hatte:
    „Bemerken Sie die Falten, welche Sie in Ihrem Anzug haben, mein Herr?“
    „Wozu diese eigentümliche Frage?“
    „Weil mein Anzug dieselben Falten hat. Wenn ein Rock jahrelang in einem Sack steckt, ohne nur einmal angezogen zu werden, so sollte er doch vorher wenigstens ausgebügelt werden. Daran denken aber diese hohen Herren Beamten nicht.“
    „Ah, Sie wollen sagen –“
    „Daß wir jedenfalls Leidensgefährten sind.“
    „Sie wurden heute entlassen?“
    „Ja, gerade wie Sie auch. Bitte, beurteilen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht geraten, Zuchthausbekanntschaften zu schließen und zu pflegen. Ich werde Sie nie kennen, selbst wenn ich Sie wiedersehe. Aber heute, am ersten Tag der Freiheit, lacht einem das Herz vor Glück. Man möchte dieses Glück teilen, und das kann man bloß mit einem Schicksalsgenossen tun. Zudem habe ich Sie öfters gesehen. Sie waren Schreiber; das ist ein Vorzug, und ich ersehe daraus, daß ich es nicht mit einem Mann zu tun habe, der für das Haus, in welchem wir waren, geradezu bestimmt ist.“
    „Nein, das ist allerdings nicht der Fall. Auch ich habe Sie gesehen. Wo waren Sie?“
    „In der Fournierschneiderei.“
    „Eine harte Arbeit.“
    „Ich hab's empfunden. Ich fahre von hier nach der Hauptstadt.“
    „Ich auch.“
    „Wollen wir bis dahin beisammen bleiben?“
    „Ich bin es zufrieden.“
    „Schön! Und nun einen Schluck Bier! Ah, wie das erquickt nach dem ewigen

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