63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
eine hochfürstliche Persönlichkeit vor mir zu haben.“
Dies schmeichelte ihm, und da er erwartete, ein höchst angenehmes Stündchen mit der Leda zu verleben, so beruhigte er sich.
Nach einiger Zeit hörte man Schellengeläut unten an der Tür halten, und dann ließ der Wirt die – Leda herein.
„Wünschen die Herrschaften sofort zu soupieren?“ fragte er.
„Ja, gleich“, antwortete sie.
„Stehe im Augenblick zu Befehl.“
Als er sich für die Dauer dieses erwähnten Augenblicks entfernt hatte, ergriff Herr Léon seine Dame beim Arm.
„Aber, mein Kind, warum denn sogleich essen?“ fragte er. „Könnten wir nicht vorher ein wenig unter uns bleiben?“
„Später!“
„Gib mir nur wenigstens deine schönen Lippen zu einem süßen Kuß.“
Er zog sie an sich, küßte sie und fand auch gar kein Widerstreben. Nur schien der Kuß einigermaßen nach Tabakspfeife zu schmecken.
„Sie wird eine Zigarette geraucht haben“, dachte er, indem er sich den Mund abwischte.
Dann umarmte er sie abermals und fragte:
„Legen wir ab oder nicht?“
„Nein“, flüsterte sie verschämt.
„Wie schade! Sie sind doch in –“
Er knöpfte drei Knöpfe ihres Regenmantels auf und erblickte die vollen Beine in fleischfarbenen Trikots und das kurze, schwarze Spitzenröckchen, welches sie heute unter dem Sternenschleier getragen hatte. Sie aber klopfte ihm abwehrend auf die Hand und sagte:
„Jetzt nicht, lieber Léon!“
„Gut, später, später!“ stimmte er bei, sich die Hände reibend. „Wir werden sehr glücklich sein, sehr! Nicht?“
„Ja, sehr. Ich kann es kaum erwarten.“
„Du Liebe, Süße du!“
Er drückte sie innig an sich, wurde aber leider vom Wirt gestört, welcher nun begann, seiner Pflicht zu warten.
Das Essen begann. Herr Léon Staudigel nippte nur. Er mochte denken, wenn viel übrig bleibe, so habe er weniger zu bezahlen. Darum bemerkte er zu seinem Erstaunen, welches sich nach und nach zu einem wahren Entsetzen steigerte, daß die Leda einen wahrhaft kannibalischen Appetit, ja geradezu Hunger entwickelte.
Zwischen ihren Zähnen verschwanden Vorräte, an denen Familien satt gehabt hätten. Er konnte es gar nicht begreifen, wie das so möglich sei. Er aß desto weniger, aber je sparsamer er sich zeigte, desto fleißiger war sie. Sie schien eine wahre Wut zu besitzen, mit allem, was es gab, vollständig aufzuräumen. Er sah ihre roten Lippen, er sah ihre prächtigen, weißen Zähne. Aber diese Lippen öffneten sich so weit, daß ein halbes Pfund Salami auf einmal hineingelangte, und diese Zähne zermalmten die saftigen Hammelrippchen mit solcher Leichtigkeit, als ob sie eigentlich das rechtmäßige Eigentum einer englischen Bulldogge seien. Und dazu floß der teure Wein in so großen, vollen Schlucken hinab, als sei der berühmte Fahnenschmied des ‚starken August‘ vom Tod erstanden. –
Zur angegebenen Zeit hielt Max Holm vor der Wohnung des Ballettmeisters. Kaum hatte er mit der Peitsche das Zeichen gegeben, so öffnete sich die Tür, und zwei Frauengestalten erschienen unter derselben.
„Lebewohl, mein guter Arthur!“ sagte die eine.
„Adieu, mein Liebling!“ meinte die andere.
„Hält der Unterrock noch fest?“
„Bis jetzt, ja.“
„Und laß ja die Strumpfbänder nicht herabfallen. Ihr Herren habt so wenig schöne Rundung an dem Unterbein! Und tritt ja nicht vorn auf das Kleid.“
„O nein, Aurorchen!“
„Hast du den Fächer?“
„Ja, hier!“
„Zerbrich ihn nicht! Du weißt, es ist ein altes Erbstück, welches mir sehr teuer ist. Sollte irgend etwas aufplatzen, ein Heftel oder ein Band, eine Schleife, so hast du Zwirn und Nähnadel im Pompadour. Komm, gib mir noch einen Kuß.“
„Hier, mein Liebling!“
Sie küßten sich. Dann sagte sie:
„Und noch eins: Denke an mich! Bleibe mir ja treu, selbst wenn dich jemand für eine Dame halten sollte.“
„Habe keine Sorge, ich gehöre dir!“
„Nun, so steige ein. Nimm aber vorn alles in die Höhe, sonst trittst du mir sämtliche Fransen ab. So, da bist du drin. Gute Nacht, bester Arthur!“
„Gute Nacht, teuerstes Aurorchen!“
Die Pferde setzten sich in Bewegung und hielten erst vor der Tür des Bellevue wieder an. Der Ballettmeister stieg aus und wurde von dem Wirt empfangen.
„Ist die Dame hier?“ fragte er, indem er von dem Genannten die Treppe emporgeführt wurde.
„Dame?“
„Ja, die allerhöchste Dame.“
„Die sind ja Sie!“
„Hm! Ach so! Ja, ja! Wer kommt noch?“
„Nun, der
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