64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
seien.“
„Nein.“
„Wer also war der andere?“
„Ich weiß es nicht.“
„So, so! Wie sind Sie in das Hotel gekommen?“
„Wie Sie. Durch die Tür.“
„Nicht durch dieses Fenster?“
„Nein.“
„Was wollten Sie hier?“
„Übernachten!“
„Nicht übel!“
„Ich werde gesucht, ich darf mich nicht sehen lassen. In dem Hundewetter fand ich keinen Ort zum Schlafen, darum schlich ich mich hierein.“
„Mittels Nachschlüssel!“
„Nein.“
„Er steckt ja noch an!“
„Er gehörte dem anderen, nicht mir.“
„So sagen Sie, wer dieser andere war?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sie werden schon noch besser antworten! Adolf, wollen einmal sehen, was er in den Taschen hat.“
Der Diener zog die Gegenstände hervor. Sie bestanden in einem Beutel mit wenigen Münzen, einer tombakenen Uhr, einigen schlechten Fingerringen, einem Messer, einem Hammer und mehreren Schlüsseln.
Der Fürst betrachtete den Hammer aufmerksam und fragte dann den Gefangenen:
„Wozu tragen Sie dieses Werkzeug bei sich?“
„Ich habe den Hammer heute gefunden.“
„Wo?“
„Auf der Gasse.“
„Bei diesem Regenwetter?“
„Ja.“
„Dann hätte der Regen das abgewaschen, was an dem Eisen klebt. Es ist Blut. Sehen Sie her, Herr Assessor!“
Der Hammer ging von Hand zu Hand. Alle waren einig, daß das, was an ihm klebte, Blut sei.
„Wie ist der Hammer blutig geworden?“ fragte der Fürst.
„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn gefunden.“
„So, so! Und diese Schlüssel. Woher sind sie?“
„Auch gefunden.“
„Wo?“
„Auch auf der Gasse.“
„Wunderbar! Wohl auch heute?“
„Ja.“
„Bei dem Hammer?“
„Ja.“
Es waren mehrere kleine und ein großer Schlüssel. Der Fürst betrachtete den letzteren aufmerksam, schüttelte den Kopf und sagte dann nachdenklich:
„Gerade einen solchen muß ich bei Ihnen gesehen haben, Herr Assessor.“
„Bei mir? Wo?“
„Auf Ihrem Schreibtisch, während des Verhörs.“
„Das wäre der Hauptschlüssel zum Gefängnis!“
„Was! Wirklich! Da, sehen Sie!“
Der Assessor nahm den Schlüssel in die Hand und sagte gleich nach dem ersten Blick, den er darauf geworfen hatte, in sichtlicher Bestürzung:
„Er ist es, der Hauptschlüssel! Aber neu, vielleicht nachgemacht ohne Erlaubnis!“
„Ist's möglich! Ist's wahr! Irren Sie sich nicht?“
„Nein. Ich kenne ihn so genau, daß ein Irrtum gar nicht stattfinden kann.“
„Dann ist ein Verbrechen geschehen; dann ist es so, wie ich vermutete: Der, welcher durch Ihr Räuspern entkommen ist, war der Hauptmann.“
„Sie meinen den Baron Helfenstein?“
„Ja.“
„Unmöglich! Der ist ja gefangen!“
„Kennen Sie diese kleinen Schlüssel?“
Der Assessor untersuchte sie und sagte dann bestürzt:
„Einige kenne ich. Sie passen zu Handschellen und eisernen Brezeln, mit denen Gefangene geschlossen werden.“
„Ha, also doch! War der Hauptmann gefesselt?“
„Ja.“
„Der Hauptschlüssel, diese Fesselschlüssel, der blutige Hammer! Herr Assessor, wir müssen sofort, sofort nach dem Gefängnis! Die anderen mögen den Gefangenen nachbringen; ich werde eine Droschke schicken. Aber geht mir nicht etwa fein säuberlich mit diesem Menschen um. Laßt keine seiner Bewegungen aus den Augen!“
Er wickelte den Hammer sorgfältig in sein Taschentuch, steckte ihn mit den Schlüsseln ein und zog den Assessor mit sich fort. Das Tor war bereits wieder geöffnet worden. Die beiden eilten nach der nächsten Nachtstation, schickten eine Droschke nach dem Hotel und ließen sich von einer zweiten nach dem Gefängnis fahren.
„Sollten Sie recht haben!“ sagte der Assessor.
„Gott gebe, daß ich mich täusche!“
„Sie meinen, daß dieser Bormann den Hauptmann befreit habe?“
„Ja.“
„Wie wäre er zu den Schlüsseln gekommen?“
„Den Hauptschlüssel hat er gehabt, woher, das werden wir wohl erfahren, die anderen hat er im Gefängnis gefunden. Und mit dem Hammer – ah!“
„Welch ein Gedanke! Sind wir bald da?“
„Noch nicht. Ich brenne vor Ungeduld. Ist der Hauptmann entkommen, dann wehe uns! Er wird nach unserem Blut lechzen!“
„Hoffentlich täuschen Sie sich.“
„Ob ich mich irre, werden wir sogleich erfahren. Da sind wir, steigen wir aus!“
Noch während der Fürst den Kutscher bezahlte, klingelte der Assessor mit einer ganz verpönten Heftigkeit. Erst nach einiger Zeit öffnete sich das über dem Haupttor gelegene Fenster, und die Stimme des Wachtmeisters Uhlig ließ sich
Weitere Kostenlose Bücher