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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Doktor, Sie haben anderes zu tun. Werden Sie nicht vielleicht im Hotel Union erwartet?“
    „Durchlaucht, Sie sind allwissend!“
    „So gebe ich Ihnen Urlaub. Gehen Sie in Gottes Namen. Wir drei sind Manns genug, eine Spur zu verfolgen, wenn wir sie finden. Gute Nacht also für jetzt!“
    „Gute Nacht!“

FÜNFTES KAPITEL
    Krachende Stammbäume
    Holm trennte sich von ihnen und kehrte nach dem Hotel zurück. Dort herrschte trotz der ungewöhnlichen Stunde das regste Leben. Nach einem solchen Ereignisse hatte niemand Lust, sofort wieder das Bett aufzusuchen. Die derzeitigen Bewohner des Hauses saßen im Gastzimmer beisammen und konnten nicht fertig werden, das Thema zu besprechen.
    Als Holm eintrat, kam der Wirt gerade aus der Küche.
    „Kommen Sie herein, kommen Sie!“ sagte er. „Die Herrschaften warten auf Sie.“
    „Später! Wo befindet sich Miß Starton?“
    „In ihren neuen Gemächern. Das Mädchen ist oben.“
    „Danke!“
    Er stieg die beiden Treppen hinauf und ließ sich melden. Er wurde auch sofort eingelassen. Ellen befand sich nicht mehr im Negligé. Sie hatte Morgentoilette gemacht und bewillkommnete ihn mit einem Darreichen ihrer Hand.
    „Endlich, endlich!“ sagte sie. „Wo sind Sie doch nur so lange Zeit geblieben?“
    „Im Gefängnis, um den Gefangenen abzuliefern.“
    „Wird man wohl entdecken, wer der andere gewesen ist?“
    „Es ist bereits entdeckt.“
    „Ah! Wer?“
    „Der Hauptmann.“
    „Höre ich recht? Ist nicht der Hauptmann gefangen oder vielmehr der Baron von Helfenstein?“
    „Er war es. Er ist entwichen.“
    „Doch nicht möglich!“
    „Leider. Unser Gefangener, ein gewisser Bormann, hat ihn befreit und dabei den Schließer mit dem Hammer erschlagen und einen Militärposten tödlich verwundet.“
    „Herr Jesus! Derselbe, welcher bei mir eingebrochen ist?“
    „Ja.“
    „Gott, welch ein Schicksal stand mir bevor. Diese zwei hätten mich ganz sicher ermordet!“
    „Gott hat es nicht gewollt.“
    „Er hat mir Sie gesandt. Sie sind mein Retter. Ihnen habe ich mein Leben zu verdanken!“
    Ihre Augen glänzten feucht, und ihre Wangen hatten sich gerötet. Sie streckte ihm die Hand entgegen und fuhr fort:
    „Wüßte ich nur, wie ich Ihnen einen recht, recht großen und ungewöhnlichen Dienst erweisen könnte!“
    Er hielt ihre Hand in der seinigen und antwortete:
    „Das können Sie, Miß Ellen, das können Sie.“
    „Wie denn? Auf welche Weise? Bitte, sagen Sie es mir!“
    „Damit, daß Sie sich zuweilen meiner erinnern, wenn Sie wieder jenseits des Ozeans gelandet sind.“
    „An Sie mich erinnern? Ja, das werde ich. Aber wohl nicht jenseits des Ozeans.“
    „Kehren Sie nicht zurück?“
    „Nein. Ich bleibe hier.“
    „Hier in der Residenz?“
    „Vielleicht. Überhaupt auf dem Kontinent.“
    Da glitt ein Schatten über sein Gesicht. Er fragte:
    „So werden Sie doch Engagement nehmen?“
    „Das ist mein liebster, liebster Wunsch.“
    „An der Hofbühne?“
    „Nein. Ich denke nur an ein Privatengagement.“
    „Das verstehe ich nicht.“
    Sie blickte sinnend vor sich nieder und dann wieder mit einem großen, tiefen Blick zu ihm auf. Sie war bleich geworden, und ihre Lippen schienen zu beben; aber mit ruhiger Stimme sagte sie:
    „Ich werde es Ihnen erklären. Sie haben mich drüben gesehen in meinem Vaterland –“
    „Ja“, fiel er ein. „Ich habe das niemals vergessen.“
    „Ich auch nicht. Es gab damals eine recht glückliche, selige Zeit. Es gab einen Mann, an den ich dachte bei Tag und bei Nacht. Er hatte mir das Herz geraubt und mein ganzes Wesen gefangengenommen. Ich wußte, daß ich ohne ihn nicht leben könne. Meine ganze Seele flog und atmete ihm entgegen, und doch blieb er mir so kalt und fern.“
    Sie machte eine kleine Pause. Auch er war bleich geworden. Sie liebte einen anderen, sie sagte ihm dies jetzt, um ihm zu bedeuten, daß er nichts zu hoffen habe.
    „Warum davon sprechen?“ preßte er hervor. „Ich habe kein Recht, Ihnen zuzuhören!“
    „Keins? Wirklich nicht? Ja, jener Mann blieb kalt und fern. Und doch liebte er mich, herzinnig und für das ganze Leben. Er opferte mir seine Errungenschaften, seinen Ruhm, seine Zukunft, und als ich ihm für dieses Opfer danken wollte, da war er verschwunden. Aber ich habe nach ihm gesucht und geforscht. Ich habe ihn gefunden. Einst hat er sich für meine Ehre der tödlichen Waffe gegenüber gestellt; heute hat er mir das Leben gerettet. Und dennoch sagt er, daß er kein Recht habe, meine Worte

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