64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
er, daß ich ihn täuschen will.“
„Wahrscheinlich ist es eins der beiden Giebelfenster, welche sich im Seitengang des Flures befinden. Dorthin kommt selten jemand.“
„Ich will es versuchen.“
Er trat um die Ecke und nahm zwischen den beiden erwähnten Fenstern Stellung. Nach kurzer Zeit hörte er, daß geöffnet wurde. Er trat dahin, wo sich der Kopf des Alten sehen ließ.
„Gnädiger Herr?“ fragte dieser letztere halblaut.
„Er ist es nicht“, antwortete der Fürst.
„Donner! Wer denn!“
„Ein Freund. Ich muß mit dem Herrn sprechen.“
„Geben Sie das Wort!“
Dem Fürst fiel ein, was die Passanten gesagt hatten, als sie beim hinteren Pförtchen des Palastes an ihm vorübergegangen waren.
„Auch einer“, antwortete er.
„Was wollen Sie? Sie sind legitimiert.“
„Ist er bereits fort?“
„Ja.“
„O weh! Ich muß den Capot und die Mütze haben!“
„Ach so! Wozu?“
„Damit der arme Teufel, der Schließer nicht bestraft werden kann.“
„Der kann nicht bestraft werden.“
„Warum nicht?“
„Er ist ja tot.“
„Ach, ich meine doch den anderen.“
„So, so! Leider kann ich Ihnen die Sachen nicht geben. Ich habe sie zwar in meinem Bett, aber der Polizist sitzt im Korridor und beobachtet alles. Sie müssen wieder kommen.“
„Wann?“
„Heute nicht mehr; aber morgen abend, vielleicht zehn Uhr, wenn es bis dahin nicht zu spät ist.“
„Vielleicht läßt es sich bis dahin verheimlichen. Aber, wo kann ich den Herrn finden?“
„Nirgends.“
„Donnerwetter! Ich habe ihm wichtige Nachrichten zu bringen.“
„Von wem?“
„Über die Baronin.“
„Das muß jetzt Zeit haben. Ich hoffe, seine Adresse recht bald zu bekommen. Sprechen Sie dann wieder vor.“
Der Kopf zog sich zurück, und das Fenster wurde zugemacht. Der Fürst begab sich wieder zu seinen Begleitern, welche ihn neugierig erwarteten.
„Ich habe nicht viel erreicht, aber doch etwas“, sagte er. „Anton, geh du zum Staatsanwalt zurück und melde ihm, daß die Mütze und der Capot des ermordeten Schließers sich im Bett des Dieners befinden.“
„Ah, schön! Das wird ein Glied in der Beweiskette.“
„Allerdings! Wir beide gehen nach Hause. Sobald eine Spur des Barons gefunden ist, reisen wir ihm nach. Ich muß ihn wieder haben. Er gleicht jetzt dem wilden Tier, welches würgen muß, um nicht erwürgt zu werden.“ –
Als der Baron vorhin am Seil herabgeklettert war, hatte er sich in höchster Eile entfernt. Er glaubte, daß man nicht bloß ihn oben abgelauert, sondern auch sich hier in der Nähe versteckt habe, damit er ja nicht entkommen könne. Er konnte zwar nicht begreifen, wie seine Absicht verraten worden sein könnte; aber verraten worden war sie; das sah er ein, und so galt es nur, schleunigst zu entfliehen.
Es war ihm, als ob er bereits die Verfolger hinter sich höre, und so fiel er vor Angst in eine sich immer vergrößernde Eile. Er war im Begriff, um eine Ecke zu biegen. Da stieß er mit einem Mann zusammen, welcher von der anderen Seite kam. Er erkannte in ihm einen Nachtwächter. Diesem wieder mußte die Eile des Barons auffallen. Daß dieser eine Tasche oder ein Paket bei sich trug, verdoppelte den Verdacht.
„Halt! Warten Sie einmal!“
Mit diesen Worten hielt der Beamte den Baron fest. Dieser aber riß sich los und eilte nun im vollen Rennen weiter.
„Halt!“ rief der Wächter abermals, ihm nachlaufend.
Als dies nicht half, zog er seine Pfeife und gab das Signal. Von dem anderen Ende der Gasse ertönte Antwort. Der Baron hörte, daß er sich zwischen zwei Feinden befinde, lief aber weiter, fest entschlossen, den zweiten Wächter, falls dieser ihn anhalten würde, entweder über den Haufen zu rennen oder gar niederzuschießen. Zum Glück aber öffnete sich rechts abermals eine Gasse. Er bog in dieselbe ein, war aber noch nicht weit gekommen, so ertönte hinter ihm ein Doppelsignal.
Die beiden Wächter waren zusammengetroffen und wußten nun, welche Richtung er eingeschlagen habe. Vorn, weit vor ihm, wurde geantwortet.
Wieder zwei Nebengassen, rechts eine und links eine. Rechts ertönte auch ein Pfiff; er bog also links ab, kam in eine Hauptstraße, hörte aber vor und hinter sich das verteufelte Pfeifen. Es war, als ob alle Nachtwächter ihm auf den Fersen seien.
Da sah er beim trüben Schein einer Laterne abermals eine Gassenöffnung, in welche er schlüpfte, freilich abermals verfolgt von den Signalen. So wurde er weiter und immer weiter gehetzt, vorwärts,
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