64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
rückwärts, seitwärts, bald rechts und bald links.
Zuletzt war man ihm so nahe, daß er die eilenden Schritte seiner Verfolger hörte. Er befand sich eben in einem engen Verbindungsgäßchen.
„Haltet auf, haltet auf“, rief man hinter ihm.
„Wo? Wo?“ hörte er vor sich rufen.
Was tun? Zu seiner rechten Hand gab es eine Gartenmauer, welche nicht sehr hoch war. Schnell entschlossen warf er die Koffertasche hinüber und folgte nach.
Hierher fiel kein Licht. Er mußte sich erst orientieren. Das aufgeregte Blut stürmte durch seine Adern, und die Lungen arbeiteten so gewaltig, daß er stehenblieb, um zu Atem zu kommen. Da kamen von der einen Seite zwei Männer angerannt, wie er an den Doppelschritten hörte, und von der anderen auch einer. Draußen an der Mauer trafen sie zusammen.
„Halt! Wohin?“ fragte einer der beiden.
„Vorwärts, es hat gepfiffen.“
„Das waren wir.“
„Ach so! Du bist ein Kollege! Hier brennt keine Laterne, und das Wetter schlägt einem die Augen zu. Ist dir niemand begegnet?“
„Nein.“
„Wir dachten, er sei hier herein.“
„Wer?“
„Ein Spitzbube. Der Bezirkswächter hat ihn draußen auf der Johannstraße laufen sehen. Regenmantel mit Kapuze und ein Paket in der Hand.“
„Himmelelement! Wäre es möglich?“
„Was?“
„Wir suchen grad so einen.“
„Dann ist's derselbe. Warum sucht ihr ihn?“
„Er hat im Hotel Union die Amerikanerin ermorden wollen. Sein Kumpan ist gefangen; er aber ist durch das Fenster entwischt. Alles ist auf den Beinen. Die sämtlichen Ausgänge der Stadt sind besetzt.“
„Ah! Da entkommt er nicht!“
„Man munkelt davon, daß er gar der Hauptmann sei.“
„Unsinn! Der ist gefangen!“
„Nein; er soll vorhin entsprungen sein.“
„Unglaublich!“
„Oh, was ist dem nicht möglich! Also, hier herein ist der Mann nicht?“
„Wir müssen uns geirrt haben, wollen aber die Gegend im Auge behalten. Hier kann man sich einmal auszeichnen und eine Gratifikation bekommen. Kehre du wieder um, mache aber die Augen auf!“
Der Baron hatte jedes Wort gehört. Hier in der engen Gasse war es ruhiger, so daß der Sturm nicht die Worte augenblicklich verwehte. Es wurde ihm himmelangst. Was nun tun? Hinaus konnte er nicht, wenigstens jetzt noch nicht. Er mußte eine tüchtige Weile warten.
Aber hier im Regen? Er bemerkte, daß er sich in einem Hof befand. Vielleicht gab es da irgendein Gelaß, wo er ein wenig untertreten konnte. Er suchte. Er fand einen Schuppen und einen Keller, aber die Türen waren verschlossen. Er ahnte nicht, daß gestern sein letzter Kamerad, nämlich Bormann, gerade in diesem Hof auch seine Zuflucht gesucht und gefunden hatte. Der Hof gehörte zu dem Haus Neumarkt Nummer zwölf. In der ersten Etage wohnte der Falschmünzer Wunderlich.
Der Baron trat an die Hintertür. Das Dach hing ein wenig über. Wenn er sich an die Türe lehnte, so konnte ihn wenigstens nicht die volle Flut des Regens treffen.
Bei dieser Gelegenheit ergriff er die Klinke. Sie bewegte sich. Er drückte sie nieder und – die Tür ging auf. Sie war nicht verschlossen gewesen.
Er trat sofort ein. Das gab doch einen trockenen Ort. Entdeckt zu werden, hatte er hier fürs erste nicht zu befürchten. Zu so später Stunde befand sich wohl kein Bewohner mehr außerhalb des Hauses, zumal bei diesem fürchterlichen Wetter.
Es fiel ihm ein, daß ihm sein Diener ein Päckchen Zündhölzer mitgegeben hatte. Er brannte eines der Hölzer an und leuchtete um sich.
Er stand an der Hintertür, vorn war die Haustür, rechts gingen einige Stufen in die Wohnung des erhöhten Parterres und links die Treppe zum Stock empor. Unter dieser Treppe gab es eine Tür. Es gab weder Riegel noch Schloß daran. Er öffnete und leuchtete mit einem zweiten Hölzchen hinein. Der kleine Raum war halb mit Pappen angefüllt. Vielleicht wohnte ein Buchbinder oder Kartonagenarbeiter in dem Haus.
War es nicht besser, sich da hineinzusetzen? In dem Flur konnte doch vielleicht jemand kommen, da hinein aber wohl niemand. Auf den Pappen war es übrigens wärmer als auf den kalten Steinen. Er schob also den Riegel vor die Hintertür und kroch dann mit seiner Tasche in den Treppenvorschlag. Dort machte er es sich möglichst gemütlich. Er beschloß, ein Stündchen hier zu warten und dann sein Glück weiter zu versuchen.
Hätte ihn die Sorge um die Fortsetzung seiner Flucht nicht gefoltert, so wäre ihm sein jetziger Schlupfwinkel als ganz gemütlich vorgekommen.
Er mochte
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