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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ungefähr eine halbe Stunde hier gesessen haben, als sich oben eine Tür öffnete. Er hörte leise Schritte zur Treppe herabkommen, und zugleich bemerkte er durch eine ziemlich breite Spalte seiner Tür, daß die betreffende Person ein Licht bei sich hatte.
    Es war ein Mann in Schlafrock und Hausschuhen. Er setzte das Licht auf eine der Treppenstufen und ging dann zur Haustür, wo er eine horchende, wartende Stellung einnahm. Nach einiger Zeit begann er unruhig im Haus auf und ab zu gehen.
    Da ließ sich ein halblautes Klopfen vernehmen. Der Mann ging, um zu öffnen. Es klang wie ein Sporen oder das leise Aufstreichen einer Säbelscheide.
    „Guten Abend, Herr Wunderlich“, grüßte eine gedämpfte Stimme.
    „Guten Abend, Herr Leutnant, oder vielmehr guten Morgen. Denn Mitternacht ist längst vorüber.“
    „Freilich. Schließen Sie die Tür und kommen Sie weiter in den Flur hinein. Es könnte mich doch vielleicht ein Neugieriger bemerken.“
    Der Schlüssel wurde im Schloß umgedreht, und dann kamen die beiden bis an die Treppe heran, so daß der Baron trotz den Stimmen des Windes alle ihre Worte hören konnte. Der Leutnant sagte:
    „Sie haben also meine eiligen Zeilen erhalten?“
    „Ja, ganz unerwartet.“
    „Ich schrieb sie im Kavalierskasino. Haben Sie meinetwegen Schlaf versäumt?“
    „Allerdings, freilich. Doch nahm ich an, daß der Grund Ihres Kommens ein wichtiger sein werde.“
    „Für mich, ja. Übrigens ist es gar nicht gut, draußen zu gehen, wenigstens wenn man Absichten verfolgt, welche niemand zu wissen braucht.“
    „Warum nicht gut? Dieses Wetter paßt grad zu stillen, unbemerkten Besuchen und Zusammenkünften.“
    „Haben Sie nicht die Wächtersignale gehört?“
    „Zuweilen, ja.“
    „Die ganze Polizei ist auf den Beinen.“
    „Gibt es Feuer?“
    „Nein, sondern etwas wohl noch Aufregenderes. Der Hauptmann ist nämlich wieder ausgebrochen.“
    „Was der Teufel!“ sagte Wunderlich erstaunt.
    „Ja, ausgebrochen, aber auch eingebrochen.“
    „Wo?“
    „Im Hotel Union, wo sie die Juwelen der amerikanischen Tänzerin rauben wollten.“
    „Welche Kühnheit!“
    „Es ist auch nicht gelungen. Die Polizei hatte vorher Wind bekommen, nämlich durch den Fürsten von Befour, und dieser hatte sich mit einigen Leuten in das Logis der Tänzerin gesteckt, um sie zu erwarten.“
    „Sie sprechen ‚sie‘. War der Hauptmann nicht allein?“
    „Nein. Er hatte einen gewissen Bormann mit, einen Bruder des sogenannten Riesen Bormann. Diesen hat man denn nun auch festgenommen, während hingegen der Hauptmann wieder entkommen ist.“
    „Fürchterlich, fürchterlich! Wie hat denn der Hauptmann seine Flucht aus dem Gefängnisse bewerkstelligt?“
    „Eben dieser Bormann hat ihn befreit. Nun wimmelt es an allen Ecken und Enden von Polizisten. Das ist mir höchst unangenehm. Aber der Gang war nicht aufzuschieben. Ich habe nämlich meinen ganzen Vorrat vertan.“
    „Also verkauft?“
    „Ja. Gleich morgen früh habe ich Gelegenheit, eine neue Summe an den Mann zu bringen; deshalb komme ich noch während der Nacht zu Ihnen, und deshalb schrieb ich Ihnen, bis um die jetzige Minute wach zu bleiben. Haben Sie noch zwanzigtausend Gulden?“
    „Ja, allerdings nur gegen bar.“
    „Natürlich. Diese Fünfzigguldenscheine sind so famos nachgemacht, daß kein Mensch die Fälschung entdecken kann. Ich habe mich überzeugt, daß meine erstmalige Unruhe ganz überflüssig war.“
    „Ich sagte es Ihnen ja.“
    „Halten Sie nur auf Vorrat.“
    „Für sechzigtausend ist noch da; dann werden wir wieder zu fabrizieren beginnen.“
    „Warum machen Sie nicht Noten zu hundert Gulden? Das würde doppelt lohnen als jetzt.“
    „Es fehlen uns die Platten, doch steht zu erwarten, daß wir baldigst im Besitz derselben sein werden.“
    „Ich hoffe, daß ich auch dann Ihr Agent bleibe!“
    „Natürlich! Also für zwanzigtausend Gulden brauchen Sie jetzt noch?“
    „Ja. Soll ich mit heraufgehen?“
    „Um Gottes willen, nein! Meine Frau!“
    „Schön! So warte ich hier.“
    „Ich werde Ihnen das Licht lassen und gleich wieder bei Ihnen sein, Herr Leutnant!“
    Er stieg die Treppe hinan; der Leutnant lehnte sich wartend an die Wand.
    Der Baron hatte seinen Augen und Ohren nicht trauen wollen. Er hatte den Offizier sofort an der Stimme erkannt. Jetzt konnte er ihm durch die erwähnte Spalte gerade in das Gesicht blicken. Also dieser Wunderlich machte falsche Noten, und der Leutnant von Scharfenberg vertrieb dieselben.

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