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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anzuhören!“
    Der Ausdruck seines Gesichts veränderte sich. Er erstarrte fast. Es war, als sei etwas Großes, Undenkbares, Unbegreifliches ganz plötzlich über ihn gekommen.
    „Miß Ellen! Höre ich recht?“ stammelte er.
    „Hoffentlich, Herr Holmers!“
    „Sie sprechen von – von – von –?“
    Da trat sie zu ihm, legte ihm beide Hände auf die Achseln, nickte ihm so tief und ernst entgegen und ergänzte seine unausgesprochene Frage:
    „Von Ihnen. Ja, von Ihnen spreche ich. Meine Aufrichtigkeit mag unweiblich sein; aber ich bin Amerikanerin und Künstlerin. Und wenn ich beides nicht wäre, so hätte ich als lebendes Wesen dennoch und doch das Recht, glücklich zu sein und glücklich zu machen und dieses Glück entgegen zu bringen, wenn man so bescheiden ist, es nicht von mir zu fordern. Jetzt nun kennen Sie die Ursache, warum ich hierhergekommen bin. Ich wollte Sie finden. Ich habe Sie gefunden. Nun entscheiden Sie, ob ich Sie wieder verlieren soll!“
    Sie stand so hoch, so schön, so stolz und strahlend vor ihm, ein Weib in der erhabensten Bedeutung des Wortes, und doch auch wieder so rein und keusch, so demütig und mild, ihr Urteil in tiefster Ergebung erwartend, eine Jungfrau im sinnbestrickendsten Reiz ihres unnahbaren und beglückenden Zaubers. Er wollte sprechen; er wollte ihr antworten; aber er konnte nicht. Er nahm ihre Hände von seinen Schultern ab; er hielt sie in den seinigen. Seine Augen füllten sich mit großen, schweren Tropfen, und nur das eine Wort brachte er hervor:
    „Ellen, Ellen!“
    „Max, hast du mich lieb? Ja, du hattest mich lieb, sehr lieb! Ist es nicht so?“ fragte sie.
    „Mein Gott! Ich bin ja nichts, gar nichts!“
    „Fürchtest du dich dafür, daß man mich reich nennt?“
    „Oh, du bist ja mehr, viel mehr als nur reich. Ein einziger Ton deiner wunderbar süßen Stimme ist mir werter als all dein Reichtum. Ein einziger Blick deines Auges wiegt mir alle Schätze der Erde auf. Wie kann ich, der arme Musikus, so Herrliches besitzen!“
    „Oh, du besitzt es schon längst, schon seit dem Augenblick, an welchem ich dich zum ersten Mal sah. Du hast für mich gekämpft, da drüben, und die Wunde nicht gescheut, welche dich deiner Kunst entfremdete. Du hast hier wieder für mich gestritten gegen die Gemeinheit niedriger Seelen; du hast mir heute das Leben gerettet. Du sollst auch weiter, fort und fort mein Schutz und mein Schirm sein, fürs ganze Leben. Unter deinem Schatten will ich wohnen, und in deiner Sonne will ich blühen. Nimm mich auf bei dir und laß mich nicht wieder von dir hinweg, hinaus in die fremde Welt und in das kalte, verständnislose Leben!“
    „Ellen, so, so sagst du! Das bittest du, während ich vor dir niederknien möchte, um dich um ein einziges Lächeln anzuflehen! Nicht du sollst unter meinem Schatten wohnen, sondern ich, ich will dein Diener und dein Sklave sein, solange ich atme und lebe. Oh, Ellen, wie lieb, wie un-, un-, unendlich lieb habe ich dich!“
    Er breitete die Arme aus. Sie sank an sein Herz und legte den herrlichen Kopf an seine Schulter.
    „Endlich, endlich!“ flüsterte sie. „Nun habe ich dich! Nun bin ich das, was zu sein ich so heiß begehrte: ein unsagbar glückliches Menschenkind!“ –
    Der Fürst war mit seinen beiden Dienern nach dem Helfensteinschen Palais gegangen. Dort war noch ein Fenster erleuchtet, ein einziges.
    „Weißt du, wessen Zimmer das ist?“ fragte er Anton.
    „Ja. Dort wohnt der alte Kammerdiener, der ihn zwar nicht mehr frisiert und ihm nicht mehr serviert, weil er eben zu alt ist, aber ihm doch eine unendliche Ergebenheit widmet. Er ist ein alter Sünder, der wohl manches auf dem Gewissen hat.“
    „Hm! Sollte dieser es sein?“
    „An den er sich heute gewendet hat?“
    „Man könnte es vermuten.“
    „Wie aber wäre er zu ihm gekommen?“
    „Durch den Eingang nicht. Es steht zu erraten, daß er ihm ein Zeichen an das Fenster gegeben hat.“
    „Vielleicht hinan geworfen?“
    „Wahrscheinlich.“
    „Wollen es einmal versuchen.“
    Er ging näher an das Palais heran und warf ein Steinchen nach dem Fenster. Es traf. Gleich darauf wurde der Vorhang auf- und niedergezogen.
    „Es hat gewirkt“, sagte Anton.
    „Wie aber wird es weiter wirken?“
    „Jedenfalls kommt er herab.“
    „Aber an die Tür nicht; das könnte der Polizist bemerken. Ich denke vielmehr, daß er eines der Parterrefenster öffnen wird, um mit mir zu sprechen. Welches aber kann dies sein? Stehe ich nicht dort, so merkt

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