64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Leute zusammen!“
Die beiden sprangen von den Pferden und eilten zur Treppe empor. Droben saß der Lakai.
„Wo ist der fremde Leutnant?“ fragte Holm.
„Beim Herrn, da drin.“
„Führen Sie uns! Schnell!“
Der Diener wußte noch nicht, um was es sich handelte, aber er sah die ängstlichen Züge der beiden Herren, riß die Tür auf, eilte auf die gegenüberliegende zu und wollte auch sie öffnen, konnte aber nicht. Nach einigen vergeblichen Bemühungen sagte er:
„Es ist von innen zugeriegelt.“
„Klopfen Sie! Laut! Immer lauter!“
Niemand antwortete.
„Da ist etwas geschehen!“ sagte der Fürst. „Der Offizier, welchen Sie zu Ihrem Herrn gelassen haben, ist ein verkleideter Mörder.“
„Herr, mein Heiland!“ schrie der Diener auf.
„Ein Beil herbei, eine Axt! Eilen Sie! Wir müssen die Tür aufbrechen!“
Der Mann sprang behende fort und brachte nach wenigen Augenblicken eine Axt. Der Fürst wuchtete mit derselben die Tür auf. Da sahen sie den Major liegen.
„Mein Herr, mein lieber, guter Herr Major!“ rief der Diener und warf sich vor demselben nieder.
Die beiden anderen aber bekümmerten sich jetzt nicht um den Schloßherrn. Sie eilten nach den nebenan liegenden Räumen, ohne aber jemand zu sehen. Holm machte das Garderobenfenster auf und blickte hinab.
„Da ist der Garten“, sagte er.
„Sollte er da hinab sein?“ fragte der Fürst.
„Möglich. Hier ist der Blitzableiter.“
„Dann zurück und höher hinauf, wo man eine bessere Aussicht hat!“
Als sie in die Bibliothek zurückkehrten, kniete der Diener noch immer vor seinem Herrn.
„Tot, tot, tot!“ stöhnte er.
„Ist er wirklich tot?“ fragte der Fürst.
„Ja, ach ja!“
„Wie denn? Erstochen? Erschlagen?“
„Ich sehe nichts.“
„Zeigen Sie!“
Er ließ sich bei dem Major nieder und untersuchte ihn.
„Beruhigen Sie sich!“ sagte er dann. „Herr von Scharfenberg ist nicht tot. Er ist nur ohnmächtig.“
„Gott sei Lob und Dank!“
„Lassen Sie ihn für den Augenblick so liegen. Es ist das beste. Führen Sie uns so hoch wie möglich im Schloß empor, zu irgendeinem Fenster, von welchem aus man die ganze Umgegend überblicken kann.“
„Nach allen Seiten?“
„Ja.“
„Da müssen wir in den Turm. Kommen Sie!“
Es ging eine Anzahl von Treppen empor, bis in ein enges Türmchen, welches die Dachfirste überragte und vier Fensterchen besaß, welche nach den vier Haupthimmelsrichtungen schauten. Dort hinaus forschten die drei.
„Sehen Sie einen Offizier?“ fragte Holm.
„Nein.“
„Ich auch nicht.“
„Da drüben sind die Arbeiter, mit denen wir gesprochen haben, und dort geht zwischen den Feldern ein Herr spazieren. Er trägt schwarzen Anzug und Zylinderhut.“
„Das ist unser Herr Pastor“, meinte der Diener.
„Kein weiterer Mensch weit und breit.“
„Sollte er bereits das Dorf erreicht haben?“
„Das ist unmöglich, gradezu unmöglich. Er muß sich also noch im Schloß befinden. Bleiben Sie hier oben, Herr Doktor, und halten Sie Umschau. Ich werde unterdessen unten nachsuchen lassen. Sobald Sie ihn sehen, melden Sie es schleunigst. Es kann Ihrem Auge hier ja gar nicht entgehen.“
Er stieg mit dem Diener wieder hinab. Es hatte sich mittlerweile das ganze Schloßpersonal versammelt; es war eine immerhin bedeutende Anzahl von Leuten. Der Fürst gab ihnen Befehl, alle Räume des Schlosses nach dem Leutnant zu durchsuchen. Er selbst ging zu dem Major, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen.
Herr von Scharfenberg hatte die Besinnung wieder erlangt, schien aber sehr angegriffen zu sein. Er blickte den Eintretenden starr an und sagte:
„Ein amerikanisches?“
„Was meinen Sie, Herr Major?“ fragte der Fürst in höflichem Ton.
„Ich meine ein amerikanisches Duell.“
„Wer?“
„Mein Sohn, mit dem Oberleutnant.“
„Ah, davon ist ja keine Rede!“
„Nicht? Also nicht?“
„Nein.“
Der Major fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sann einige Minuten nach und fragte dann:
„Aber Kindesmörder ist er?“
„Von wem sprechen Sie?“
„Nun, von ihm, von meinem Sohne.“
„Nein, Kindesmörder ist er nicht; er ist unschuldig.“
„Aber diese Wartensleben!“
„Ihr Kind ist ja gar nicht das seinige gewesen.“
„Wissen Sie das?“
„Sehr genau.“
„Geben Sie mir doch die Hand darauf!“
Dies sagte er nicht mit voller, klarer Überlegung. Er sprach wie im Traum, wie im somnambulen Zustande. Der Fürst gab ihm die Hand und
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