64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
dahin halten Sie sich versteckt. Aber nehmen Sie sich vor seiner Waffe in acht.“
Nach diesen Worten kehrte er in das Zimmer zurück und legte seinen Bart und das übrige ab. Der Wachtmeister öffnete vor Erstaunen den Mund. Der Fürst sagte ihm lächelnd:
„Sie sehen, daß in der Welt manches anders ist, als es scheint. Was Sie sehen, werden Sie mit tiefstem Schweigen bewahren. Es hat alles seine Gründe. Jetzt senden Sie die beiden Schließer zu den Schmieden.“
Aber der Wachtmeister konnte sich doch nicht beruhigen. Er kratzte sich den Kopf und sagte:
„Jetzt weiß ich wahrhaftig nicht, ob ich träume oder wache. Diesem Gesicht nach sind Sie ja –“
„Nun, was oder wer denn?“
„Donnerwetter! Sie sind aber doch eine Durchlaucht!“
„Sprechen Sie nur getrost!“
„Sie haben eine außerordentliche Ähnlichkeit mit einem Schulkameraden von mir. Er müßte jetzt genauso aussehen wie Sie!“
„Wie hieß er?“
„Er hieß – ah, Sie haben ja den Namen vorhin genannt! Brandt hieß er, Gustav Brandt.“
„Was war er denn?“
„Polizeibeamter oder vielmehr Kriminalist. Ein gescheiter und braver Mensch. Leider aber wurde er –“
Er brach schnell ab.
„Nun, was wurde er?“
„Gnädiger Herr, ich beleidige Sie!“
„O nein! Sprechen Sie nur immer weiter.“
„Er wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt.“
„Ah! Und dem sehe ich ähnlich?“
„Außerordentlich. Aber es ist nicht die Ähnlichkeit mit einem Verbrecher. Brandt war kein Mörder.“
„Das sagen Sie, und noch dazu als Gefängnisbeamter?“
„Oh, ich habe ihn gekannt. Ich war damals Schließer. Ich habe nie an seine Schuld geglaubt. Und nun diese frappante Ähnlichkeit. Sie tragen falsches Haar, falschen Bart und eine falsche Wunde im Gesicht. Ich werde ganz irre. Ich weiß nicht, was ich denken soll!“
Da streckte er dem braven Wachtmeister die Hand entgegen und sagte gerührt:
„Schäme dich deiner Gedanken nicht, lieber Christian. Es ist dein Schulkamerad, der vor dir steht.“
Da ergriff der Wachtmeister Uhlig die dargebotene Rechte mit seinen beiden Händen und rief:
„Gott, ist's wahr? Brandt, Gustav, du bist's wirklich?“
„Ja, ich bin es. Heute wird meine Unschuld endlich, endlich an den Tag kommen!“
„Da muß ich doch sofort laufen und meinen Vater wecken. Er muß erfahren, was –“
„Halt!“ unterbrach ihn der Fürst. „Das müssen wir noch unterlassen. Wir haben anderes zu tun. Ich bin deinem Vater großen Dank schuldig. Durch ihn bin ich den Schmieden und dem Mörder auf die Fährte geraten; aber jetzt können wir ihn nicht gebrauchen. Laß die beiden Schmiede kommen; das ist jetzt das nötigste!“
Dieser Weisung wurde sofort Folge geleistet.
Die beiden, Vater und Sohn, wunderten sich nicht wenig, als sie bemerkten, daß sie mitten in der Nacht von ihrem Lager weg zu Brandt und dem Staatsanwalt geholt worden waren. Der Alte nahm das nicht so ruhig hin. Er sagte:
„Herr Staatsanwalt, was will man von uns? Ich denke, daß man einem armen Gefangenen sein bißchen Nachtruhe nicht noch zu verkümmern braucht.“
„Wir haben sehr guten Grund dazu“, antwortete der Angeredete. „Sie sind sogar diesem Herrn den größten Dank schuldig, daß er Sie geweckt hat.“
„Herrn Brandt? Das möchte ich wissen.“
„Es handelt sich um Ihr Leben.“
„Um unser Leben? Ist es wahr, Herr Brandt?“
„Ja“, nickte dieser. „Sie sollten ermordet werden.“
„Wir beide?“
„Ja.“
„Von wem?“
„Im Auftrag des Hauptmanns von einem seiner Leute.“
„Wann?“
„In wenigen Minuten.“
„Das ist nicht wahr!“
„Glauben Sie wirklich, daß ich Ihnen eine Unwahrheit sage?“
„Ja. Es ist ein juristischer Kniff von Ihnen.“
„Zu welchem Zweck?“
„Sie wollen uns gegen den Hauptmann aufhetzen, damit wir gegen ihn aussagen sollen.“
„Das fällt mir nicht ein. Der Hauptmann ist auch ohne Ihr Zeugnis verloren. Nein. Ich belauschte ihn vor ungefähr einer halben Stunde. Einer seiner Leute hat zu erfahren gewußt, in welchen Zellen Sie liegen. Nun soll dieser Mann auf einer Leiter an Ihre Fenster kommen und Sie mit der Windbüchse erschießen.“
„Was? Wirklich?“
„Wirklich.“
„Ah, wenn Sie uns das beweisen könnten!“
„Das will ich ja. Deshalb bin ich gekommen. Wir werden jetzt in Ihre Zellen gehen und das Kommen dieses Menschen abwarten. Sie sprechen mit ihm –“
„Und lasse mich erschießen?“
„Nein. Wir machen aus irgend welchem Zeug einen Kopf
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