64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
auf den Strohsack.“
Sie traten alle aus der Zelle heraus, wo die beiden Schließer mit den Lichtern standen. Der Fürst beleuchtete den falschen Kopf und sagte, auf die Stelle zeigend:
„Hier sehen Sie! Da ist die Kugel hinein und hier hinten wieder heraus; durch und durch!“
„Warte, verdammte Kröte!“ drohte der Schmied. „Dir soll dein letztes Brot gebacken sein!“
„Jetzt schnell in die andere Zelle, ehe er die Leiter wieder ersteigt!“ meinte der Staatsanwalt.
Einige Sekunden später befanden sie sich in der Zelle Wolfs des jüngeren.
„War er da?“ fragte dieser seinen Vater.
„Ja.“
„Hat er geschossen?“
„Durch und durch.“
„So mag er mir kommen!“
„Nein! Laß mich lieber hinauf. Ich weiß nun bereits, wie es zu machen ist.“
Er schob den Kübel an die Wand, und da klopfte es auch bereits an das Fenster. Er wartete, bis es zum dritten und vierten Mal geklopft hatte, dann stieg er hinauf.
„Wer klopft?“ fragte er.
„Wer ist da drin?“
„Ich heiße Wolf.“
„Schön! Ich komme vom Hauptmann.“
„Ah! Was wollen Sie?“
„Ich will Sie retten. Doch sagen Sie zuerst, ob Sie etwas gestanden haben?“
„Nein; kein Wort.“
„Schön! Wo stecken Sie denn?“
„Hier am Fenster.“
„Ich sehe Sie ja gar nicht!“
„Ist das möglich bei dieser Dunkelheit?“
„Ich muß mich überzeugen, ob Sie es wirklich sind. Es könnte sich ein anderer für Sie ausgeben.“
„Wie wollen Sie sich überzeugen?“
„Ich geben Ihnen ein Streichholz hinein. Das brennen Sie an und halten es sich vor das Gesicht.“
„Verdammt!“ murmelte der alte Schmied. „Diesmal fängt er es klüger an!“
„Ihr Sohn muß hinauf!“ flüsterte der Fürst.
„Er wird ihn erschießen!“
„O nein. So schnell geht es nicht. Er leuchtet sich an, läßt die Flamme fallen und duckt den Kopf nieder. Er sieht ja auch bei der Flamme den Lauf. Das darf der Mensch denn doch nicht wagen.“
„Nun?“ fragte der Agent. „Sind Sie da?“
„Hier!“ antwortete Wolf junior, welcher hinaufgestiegen war.
„Können Sie an die Luke langen?“
„Ja“, meinte der Gefangene, welcher die Glastafel bereits geöffnet hatte, bevor die anderen noch in seine Zelle gekommen waren.
„Hier ist das Streichholz!“
„Gut.“
Wolf strich das Hölzchen an der Mauer an und hielt es sich, als es aufflammte, vor das Gesicht.
„Ja, Sie sind es“, erklang es draußen. „Aber, können Sie nicht näher kommen?“
„Ganz gut.“
„Halten Sie Ihr Ohr her! Ich traue den Nachbarn nicht. Sie könnten am Fenster sein und alles hören. Ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen. Sind Sie da?“
„Ja.“
„Warte, ich werde fühlen.“
Er fuhr mit der Stockflinte herein und stieß an den Kopf, welchen der Fürst nun hinhielt. Dasselbe Geräusch und derselbe Wind wie vorhin, dann hörten alle die Kugel auf die Diele fallen. Der Schall war diesmal nicht durch den Strohsack gedämpft worden.
Natürlich hatte der Fürst das Tücherbündel sofort vom Fenster wieder zurückgezogen. Jetzt verging eine kleine Weile, dann fragte jemand am Fenster:
„Wolf!“
Es antwortete natürlich niemand.
„Wolf! Reden Sie doch!“
Es blieb still.
„Was ist denn so plötzlich mit Ihnen?“
Und als er auch jetzt keine Antwort erhielt, entfuhr es ihm in triumphierendem Ton:
„Fertig! Das habe ich famos gemacht. Zweitausend Gulden sind verdient!“
Er verschwand vom Fenster.
„Zweitausend Gulden also!“ sagte der alte Schmied. „Der Hauptmann hat ihm also zweitaus –“
„Still!“ befahl der Fürst. „Horchen wir!“
Sie lauschten auf, und zwar nicht vergebens.
„Kreuzhimmel –!“ erklang es erschrocken von unten herauf; dann hörte man nichts mehr.
„Sie haben ihn fest!“ sagte der Staatsanwalt.
„Ah, er ist ergriffen worden?“ fragte der Alte.
„Natürlich!“
„Herr Staatsanwalt, Herr Brandt, dürfen wir diesen Menschen auch sehen?“
„Ja, im Verhör.“
„Nein, jetzt. Zeigen Sie ihn mir jetzt, und ich will alles gestehen, alles, was Sie nur hören wollen.“
„Wenn Sie versprechen, sich nicht an ihm zu vergreifen.“
„Ich tue ihm nichts!“
„So kommen Sie!“
Draußen zeigte es sich, daß die Kugel abermals durch die Tücher hindurch gedrungen war.
„Durch diese elastische Masse!“ sagte der Fürst kopfschüttelnd. „Das habe ich keiner Windbüchse zugetraut. Durch die wirklichen Köpfe wäre sie also noch viel, viel leichter gedrungen! Doch kommen Sie!“
Sie begaben sich
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