66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
blickte Leni fragend in das Gesicht und meinte lächelnd:
„War das nicht wieder einer von Lenis Schalkstreichen? Darf ich erfahren, was du dem Herrn Konzertmeister vorgesungen hast.“
„Er hat sagt, daß ich jodeln soll, da draußen auf der Straßen. Der Wurzelsepp war auch dabei.“
„Ah der! So ist es leicht begreiflich, daß da irgendeine Lustigkeit ausgeführt worden ist. Und was hast du da gejodelt?“
„Soll ich's etwa singen?“
„Wenn Majestät gestatten?“
Der König nickte lächelnd.
„Aber wann's nun den Herrn Konzertmeister ärgert?“
„Ärgern? Mir?“ sagte der Italiener. „Es kann mir nix ärgern. Nur immer ßing! Dann ßein auk ßokleik beweisen, was ich kesakt hab, daß du ein schauderhaft Ssängerin.“
„Nun, so will ich nur den einen Vers singen, der ihm noch am besten gefallen hat.“
Sie stemmte den einen Arm in die Seite, setzte den linken Fuß vor und sang:
„Und da drüben und da draußen
In das Welschland hinein,
Und da gibts so viele Flöh,
Und da möcht ich nicht sein!“
Sie sang es womöglich noch mehr ohrzereißend, als sie es draußen gesungen hatte. Die Wirkung blieb nicht aus: Alle fuhren sich mit den Händen nach den Ohren. Wagner sprang nach der Tür, um hinauszueilen. Glücklicherweise aber war sie fertig, als er noch nicht ganz draußen stand. Er kam zurück und rief lachend:
„Das ist ja fürchterlich, entsetzlich!“
„Ja, fürchterlik, entsetzlik, schrecklik, schrecklik!“ stimmte der Italiener bei. „Und da ßie saken, daß ßie können ßingen!“
„Nun“, meinte Wagner, noch immer lachend, „eigentlich sollte sie es auch können, da sie ja bei dem beabsichtigten Konzert mitwirken soll.“
„Die? Mitwirken? Schrecklik! Schrecklik!“
„Ja, denn sie ist ja unsere Mureni!“
„Unß – Mur –!“ Die beiden Wörter blieben ihm eine Zeitlang im Mund stecken, bis nachher doch die beiden Silben kamen: „reni!“
Er hatte den Mund weit offen und starrte Wagner an.
„Gewiß!“ lachte dieser. „Oder glauben Sie es nicht?“
„Ssie maken Spaßen!“
„Es ist mein Ernst, ich werde Ihnen sogleich beweisen, daß sie singen kann.“
Er bat mit einer stummen Verbeugung den König um die Erlaubnis, und als dieser still lächelnd nickte, öffnete er das Pianino, setzte sich vor dasselbe und schlug einige leise Akkorde an.
„Meine Herren, Signora Mureni wird die ‚Marterblume‘ von Heinrich Heine singen, wenn Sie es gütigst gestatten.“
„Komponiert von –?“ fragte der König.
„Von einem unbekannten Kompernisten, wie der Wurzelsepp sagen würde.“
Diese Antwort genügte. Der König wußte nun, daß es eine jener Augenblickskompositionen Wagners sei, auf welche dieser keinen Wert zu legen pflegte, da er sie nur für gewisse Personen und Stimmen zu schreiben pflegte.
Alle waren im höchsten Grad gespannt. Der König wohl am allermeisten. Seit jener Nacht auf der Alm hatte er Lenis Stimme nicht wieder gehört. Jetzt sollte es sich zeigen, ob er sich in der Begabung des schönen Mädchens geirrt habe oder nicht, ob die an sie gewandte Mühe auch Früchte getragen habe. Der Italiener aber kratzte sich hinter dem Ohr. Er konnte nicht begreifen, daß ein Mann wie Richard Wagner sich so tief erniedrigen könne, eine so fürchterliche Sängerin zum Vortrag eines Liedes aufzufordern und sie noch dazu zu begleiten.
Leni stellte sich hinter Wagner. Sie nahm ihr Hütchen ab. Ihr schönes, volles Haar war jetzt ganz zu sehen. Als Wagner zu präludieren begann, erhob sie langsam das Köpfchen und warf einen Blick in das erwartungsvoll auf sie gerichtete Gesicht des Königs. Sie fühlte, daß es jetzt galt, zu beweisen, daß sie seine Gaben mit Dank empfangen habe. Dann suchte ihr Auge das Fenster. Es weilte draußen am gegenüberliegenden dunklen Waldesgrün und schien sich allmählich zu vergrößern.
Jetzt schloß Wagner das Vorspiel mit einer Fermate, und nun begann sie.
Ihre Lippen schienen vollständig geschlossen zu sein. Leise, ganz leise, wie aus weiter, unendlicher Ferne erklang ein Ton, der unmöglich aus ihrer Brust zu kommen schien. Er schwoll langsam an, mehr und immer mehr, bis er endlich in wahrer Orgelstärke durch das Zimmer klang und sich aus ihm die Motive und Sätze entwickelten auf denen die Verse des sterbenden Dichters getragen wurden, wie die Leichen ertrunkener Schiffbrüchiger auf den trübdunklen Wogen des Ozeans auf und nieder schweben. Es war eine ganz eigenartige Musik zu dem ebenso eigenartigen,
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