66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
große Stunde, welche Sie eben erlebt haben“, sagte er gedämpften Tones. „Vergessen Sie dieselbe nie! Und wenn die Verführung an Sie herantritt, um Sie dahin zu ziehen, wo Staub und Sünde wohnen, so denken Sie des Augenblicks, an welchem die Lippe Ihres Königs sie berührte. Wir hätten jetzt so viel zu fragen und zu sagen; aber der Moment ist Ihnen ein heiliger, und wir wollen ihn nicht entweihen. Gehen Sie also jetzt, um im stillen mit dem Gott zu sprechen, welcher über uns allen wohnt und welcher Ihnen soeben bewiesen hat, daß er auch in Ihrem Herzen waltet!“
Sie antwortete nicht; sie ging. Es war ihr, als ob sie Flügel habe, als ob sie die Erde gar nicht fühle, über welche ihre Füße schritten. Ihr Herz war so weit, so unendlich weit. Sie fühlte keine Grenzen, keinen Anfang und kein Ende ihrer Gedanken und Gefühle – sie hatte ja gar keinen Gedanken, gar kein Gefühl; sie wurde von einer Seligkeit erfüllt, welche kein einzelnes Gefühl war, sondern eine Gesamtheit aller beglückenden Regungen und Empfindungen genannt werden mußte.
So ging sie, sie wußte gar nicht, wohin, nicht wachend und nicht träumend. Ob's wohl im Himmel einmal grad so sein wird? Oder noch schöner, noch herrlicher? Wäre das möglich?
Als sie endlich wieder zur wirklichen Klarheit kam, stand sie am Ufer des Flusses. Draußen ging der Mond in silbernem Lichte auf; über ihr flüsterten die Zweige und hüllten sie in lauschiges Dunkel. Vor ihr fluteten die Wellen und geheimnisvolle Reflexe zuckten auf den Wassern dahin. Es überkam Leni mit unwiderstehlicher Macht. Es war ihr, als ob eine unsichtbare Gewalt sie bei den Schultern fasse und in die Knie niederdrücke. Sie hob die gefalteten Hände empor und betete:
„Oh, du lieber Vater im Himmel, bleib bei mir und verlaß mich nicht, daß ich nicht stolz und hochmütig werde. Du Heiland aller Sünder, laß mich stets bedenken, daß ich eine arme Sünderin bin! Du heiliger Geist Gottes, steh mir bei, daß ich den Hochmut besiege, der mich jetzt bald ergreifen will. Du reine Mutter Gottes, schau freundlich auf mich hernieder und bitte für mich, daß ich fromm bleibe und voller Demut. Du großer, dreieiniger Gott, gib, daß ich die Gabe, die du mir verliehen hast, nur allein gebrauche zu deiner Ehre und zum Segen der Menschen. Ich bin so klein, so gering. Laß mich so klein, so gering, damit ich groß bin nur in deiner Gnade! Amen!“
„Amen!“ erklang es wie ein Echo hinter ihr.
Sie fuhr erschrocken empor.
„Wer ist da?“ fragte sie angstvoll.
„Ich; aber brauchst dich nicht zu fürchten. Ich bin's –“
„Wer bist denn?“
„Ich, der Sepp.“
Der Genannte kniete hinter ihr am Stamm eines Baums. Jetzt erhob er sich und trat auf sie zu.
„Du bist's, Pat'? Was machst hier?“
„Ich kam, weil ich Sorg gehabt hab um dich.“
„Warum das?“
„Schau, das war so: Ich saß beim Fex an der Fähr, und wir redeten mitnander. Da hörten wir einen Gesang, der kam wie vom Himmel herab. Der Fex hat gemeint, ein lieber Engel tät singen; ich aber hab gleich gewußt, daß mein liebes Lenerl der Engel gewesen ist.“
„Woher hast's gewußt?“
„Weil ich den Gesang bereits hört hab von dir, im München drin, als der Wagnern dazu am Klavieren spielen tat. Das war der Gesang von der Totenblume, ich hab's dem Fex gesagt, und er ist ganz närrisch worden. Wir sind nach der Villa gelaufen ohne Atem und haben zugehört, bis du fertig gewesen bist. Nachher kamst heraus und gingst fort, nicht etwa auf dem Weg, sondern gleich über die Wiesen hinüber und auf das Wassern zu. Da bist so sakrisch wetterwendsch gelaufen, bald rechts und bald links, bald vorwärts und bald wieder zurück. Dazu hast gekippert und getaumelt, als ob du betrunken wärst, und da ist mir's himmelangst um dich worden. Ich hab schnell meine Schuhen auszogen, daß du mich nicht hören sollst, und bin dir nach. Du hast dich aber auch gar nicht umgeschaut und mich also nicht bemerkt, obgleich ich nur ein paar Schritten hinter dir gewesen bin. Nachher bist gar noch niederkniet und hast betet. Herrgottl, wie mir da geworden ist! Meine Seel hat zittert und bebt, denn ich hab denkt, es ist dir was passiert und du willst noch erst beten und nachher gleich hinein ins Wassern springen.“
„Das hast dacht!“
„Ja freilich.“
„Von deiner Leni!“
„Ich konnt halt gar nicht anders.“
„Du hast meinen könnt, daß ich mir das Leben nehm, daß ich eine Selbstmörderin werden kann!“
„Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher