66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
muß!“
„Weiß schon! Aber Hochwürden mag auch bedenken, was ich und mein Weib fühlen müssen, wenn wir den Anton da hinauf schicken!“
„Gott wird ihn schützen!“
„Das wohl. Das ist auch der einzige Grund, wegen dem ich überhaupt in dieser Sach den Mund auftu. Jetzt, Anton, schau einmal grad recht scharf hinauf. Siehst keine Möglichkeit?“
„Ich hab sie schon gesehen.“
„Ja, ja!“ meinte der Alte stolz. „Du bist mein Sohn, mein richtiger Sohn. Du siehst halt sofort und gleich, was keiner sieht. Es geht ein Weg hinauf.“
„Wo, wo?“ fragte es rundum.
„Was hilft's euch, wann ihr es erfahrt? Es kraxelt doch keiner von euch hinauf. Sag, Anton, wieviel Seile du brauchen wirst!“
„Zwei.“
„Das ist richtig. Ich seh, daß du ganz dasselbige meinst wie ich. Und einen Hammer mußt haben und zwei Spitzeisen zum Einschlagen. Und den Stuhl hast auch schon mit. Willst's wagen?“
„Was sagst dazu, Vater, Mutter?“
„Ja, was sollen wir sagen, Bub? Wir sagen nicht ja und nicht nein. Glückt's, so ist's halt gut; glückt's aber nicht, so dürfen wir nicht den Vorwurf haben, daß wir dich in den Tod getrieben haben. Tu, was du willst.“
Alle waren still. Sie hielten die Hände gefaltet. Sie wußten, daß das nächste Wort Antons die Entscheidung bringen werde. Das Auge des Professors hing mit unbeschreiblich ängstlichem Ausdruck an den Lippen des jungen Mannes. Endlich sagte dieser:
„Und wann ich verunglücke, werdet ihr es mir vergeben, daß ich's gewagt hab, Vater, Mutter?“
„Vergeben? Mein Sohn, wir werden hungern müssen, aber wir werden stolz auf dich sein!“
„So will ich's tun!“
Wer war der größere Held, der Sohn oder der Vater mit der Mutter, welche bereit waren, ihr ein und alles zu opfern, um ein fremdes Menschenleben zu retten? Der Alte hatte gesprochen wie ein echter Spartaner. Als der Sohn nun seinen Entschluß kundgab, ließ sich ein großer, tiefer, allgemeiner Atemzug hören, ein Seufzer der Erleichterung, welcher aus aller Brust kam. Der Professor stieß einen Jubelruf aus und sagte:
„Ich soll nicht wieder vom Geld sprechen; aber wenn du ja verunglückst, was Gott in seiner Barmherzigkeit verhüten möge, so werden deine Eltern nicht darben, denn ich werde ihr Bruder sein. Das verspreche ich dir!“
Es wurden zwei Seile zur Stelle geschafft, welche Anton sich um den Leib wickelte. Sie waren lang und dünn, aber außerordentlich haltbar. Ein Fläschchen mit Kirschgeist steckte er ein, und endlich nahm er einen Hammer und zwei Spitzeisen in den Gürtel.
Nun war er fertig. Aber er trat keineswegs schon jetzt den fürchterlichen Weg an, sondern er ging zum Pfarrer, der ihn beobachtet hatte, was er tun werde.
„Hochwürden, wollen ein wenig zur Seit treten; ich will beichten.“
„Recht so, mein Sohn! Mag der Allmächtige beschlossen haben Leben oder Tod; du sollst auf den letzteren vorbereitet sein.“
Als Anton dann vor dem Priester niederkniete, sanken alle Anwesenden auch auf die Knie und entblößten ihre Häupter. Alle beteten für ihn und für die Verunglückte, deren Retter er sein wollte.
Als er gebeichtet und die heilige Absolution empfangen hatte, ging er zu den Eltern. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Angst.
„Nun, Vater, wolln wir Abschied nehmen“, sagte er heiter. „Wie lange Zeit ich fortbleibe, das weiß ich halt nicht. Vielleicht ist's länger, als ich denk; dann magst für mich beten.“
Er umarmte und küßte ihn. Dann legte er auch die Arme um das alte, graue Mütterchen.
„Mein liebs, liebs Mutterle, wein halt nicht. Mein Weg führt nach oben: zur Rettung oder in den Himmel. Hab tausend Dank für alls, was ich dir schuldig bin. Wann ich untergeh, so freu dich nur, daß du mich im Himmel wiederschaust. Leb wohl viel tausendmal!“
Alle schluchzten laut; selbst der Pfarrer weinte. Anton riß sich los. Da erblickte er Franza. Er ging zu ihr, gab ihr die Hand und sagte:
„Leb auch du wohl! Vielleicht siehst jetzt, daß der Wilderer kein böser Mensch ist.“
„Ich wiederhole es, du bist ein Held. Mag geschehen, was da wolle, ich werde dich nie vergessen.“
„So tu mir einen Gefallen!“
„Welchen?“
„Geh hin zur Leni, und sag ihr meinen Abschied! Wann es nicht gelingt, wann ich abstürz, so werd ich halt noch in dem Augenblick, an welchem ich den Halt verlier, ihren Namen rufen. Sag ihr das, und nun leb wohl!“
Er reichte allen Bekannten reihum die Hand; dann schnallte er sich die Steigeisen an, band sich
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