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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Stuhl auf den Rücken und ergriff den Bergstock, welchen er sich ebenso wie die Steigeisen hatte borgen müssen. Als er nun nach der Felsenwand schritt, gingen alle mit. Dort angekommen, sagte sein Vater noch:
    „Anton, gib mir deine Hand!“
    Er nahm sie und fühlte nach dem Puls.
    „Meinst, ich hab Angst?“ fragte der Sohn.
    „Nein. Du bist mein Sohn und hast niemals Angst gehabt. Aber ein solch Erlebnis macht das Blut leicht unruhig.“
    „Das meinige ist ruhig.“
    „Ich fühle es. Also steig aufi, Anton! Der Herrgott mag seine tausend Engel senden, daß sie dich halten und beschützen. Amen!“
    Jetzt traten alle zurück. Sie wußten, daß ihre Nähe ihn nur stören müsse. Sie wichen so weit zurück, daß sie die Wand in ihrer ganzen Höhe und Breite überblicken konnten.
    Nur die scharfen Augen des Alten und seines Sohnes hatten eine Möglichkeit ersehen, die Wand zu erklimmen; einen Weg, eine Ritze, in welcher man sich emporschieben konnte, gab es nicht.
    Jetzt schwang sich Anton auf einen Vorsprung, auf einen zweiten und dritten. Als er so weit emporgekommen war, daß die vorliegenden Trümmerhaufen ihn nicht mehr verdeckten, sondern er zu sehen war, wie eine Fliege an der senkrechten Wand hängend, entfuhr dem Mund des anwesenden Dorflehrers der Anfang eines Kirchenliedes – alle stimmten ein, und brausend erklang es bis hinauf zu der unglücklichen Frau:
    „Hier liegt vor Deiner Majestät
Im Staub die Christenschar,
Das Herz zu Dir, o Gott erhöht.
Die Augen zum Altar.
Schenk uns, o Vater, Deine Huld!
Vergib uns uns're Sündenschuld!
O Gott, vor Deinem Angesicht
Verstoß uns arme Sünder nicht.
Verstoß uns nicht,
Verstoß uns Sünder nicht.“
    Es war ein Augenblick, wie selten einmal im Leben eines Menschen. Alles Irdische war gesunken, und nur der Gedanke an Gott, den Allmächtigen, hatte Macht und Gewalt über die Seelen. Die Mutter Antons vermochte es nicht, ihrem Sohn mit den Augen zu folgen. Sie hatte sich hinter einem Felsblock niedergekniet und betete aus inbrünstigem Herzen. Ihr Mann aber saß regungslos und verwendete keinen Blick von dem Sohn.
    Freilich war es entsetzlich. Aus dieser Entfernung schien die Wand ganz glatt und ohne aller Hervorragungen zu sein. Oft hielt Anton still und suchte lange Zeit vergebens mit dem Fuß oder dem Bergstock einen festen Halt. Oft glaubte man, ihn bereits stürzen zu sehen, und alle schrien dann laut auf. Aber es war nur eine verwegene Bewegung gewesen, welche ihn sicher vorwärts brachte. Man wagte nicht, laut zu sprechen. Die Bemerkungen, welche man machte, flüsterte man sich nur leise zu.
    So ging es höher und höher, über eine Stunde lang. Oft mußte der kühne Steiger minutenlang ausruhen, wenn er einen Punkt fand, an welchem dies möglich war.
    „Herrgott, nur nicht einen Krampf!“ flüsterte sein Vater. „Schwindel gibt's nicht bei ihm. Wann er nur nicht einen Krampf bekommt!“
    Kurz und gut, jeder Gedanke war jetzt ein Gebet. Und diese stillen, unausgesprochenen Gebete schienen erhört zu werden. Wenigstens ging der kühne, unbegreifliche Aufstieg ohne nennenswerte Unterbrechung vonstatten.
    Aber wie Anton zu der Frau gelangen wollte, das war allen außer seinem Vater ein Rätsel. Grad da, wo sie sich befand, rund um den Vorsprung, auf welchem sie lag, war der Felsen wirklich glatt, ohne die Spur einer Stelle, auf welcher nur eine einzige Zehe hätte Halt finden können, viel weniger aber ein Fuß und also der ganze Mann.
    Jetzt befand der kühne Mann sich gradso hoch wie die Frau, aber vielleicht zwanzig Ellen rechts von ihr.
    „Was wird er tun? Wie kommt er hin?“ fragte einer den andern, und keiner wußte die Antwort.
    Als er nun aber noch immer höher stieg, begann den Leuten die richtige Ahnung aufzudämmern, was er beabsichtige. Nämlich grad über dem Standort der Verunglückten, ungefähr zehn Ellen höher, gab es eine kleine Vertiefung, auf welche Anton es abgesehen hatte. Sein adlerscharfes Auge hatte ihm gesagt, daß es ihm möglich sei, dorthin zu gelangen, natürlich nur dann, wenn er das Leben für nichts achtete. Diese Vertiefung erreichte er glücklich und setzte sich dort nieder.
    Ein überlauter, jubelnder Schrei erscholl zu ihm empor. Den Zuschauern schien es, als sei das ungeheuer schwierige Werk bereits halb gelungen.
    „Noch nicht den zehnten Teil“, sagte der alte Warschauer. „Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt.“
    Die Vertiefung hatte kaum Platz für einen Menschen. Darum hatte Anton den Stuhl

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