66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
was du verzehrt hast.“
Der Kutscher gehorchte dieser Weisung, und Anton trat mit seiner Beschützerin in die ärmliche Stube. Diese war leer.
„Ja, wo sind sie denn?“ fragte er. „Jetzt fangen die Leuteln an, bereits am frühen Morgen spazierenzugehen.“
„Vielleicht kehren sie bald zurück?“
„Ich werd gleich nach ihnen ausschaun; aber in dieser Kleidung kann ich das nicht. Da würden mir alle Hunde und Gäns im Dorf nachlaufen. Setz dich auf den Stuhl und wart ein wenig.“
Er trat mit der Reisetasche in die Kammer und kehrte bereits nach kurzer Zeit zurück. Er hatte seinen Gebirgsanzug wieder an und dafür die Verkleidung in die Tasche gepackt.
„So! Jetzt bin ich wieder ein Mensch. Es ist mir in deinen Kleidern zumut gewesen wie einer Schneck, der das Häuserl zu eng geraten ist. Jetzt will ich den Vatern und die Muttern holen.“
„Weißt du, wo sie sind?“
„Sie gehen nimmer weiter als zum Nachbarn hinüber. Ich werd bereits bald wieder da sein.“
Das traf nun freilich nicht zu. Franza mußte wohl fast eine Viertelstunde warten. Da hatte sie Zeit, sich umzusehen.
Das Stübchen war weiß getüncht und sauber. Es enthielt einen Kachelofen, einen Tisch, zwei Stühle, einen Schemel als Möblierung. An der Wand, der Tür gegenüber, hing ein Muttergottesbild. Die Stubendecke zeigte Spuren, daß der Regen hereingedrungen sei. Draußen im Nebenkämmerchen befanden sich drei Lagerstätten, aus Moos und Laub hergerichtet. Das alles machte den Eindruck tiefster Armut, war aber doch so reinlich und sauber gehalten, wie es bei dieser Ärmlichkeit eben möglich war.
Endlich hörte Franza die Schritte des Zurückkehrenden. Als er eiligst hereintrat, waren seine Wangen hoch gerötet, und seine Augen blitzten unternehmend.
„Hast du sie gefunden?“ fragte sie.
„Nein. Sie sind gar nicht im Dorf, sondern droben auf der Alm.“
„Die alten Leute!“
„Ja, das ganze Dorf ist hinauf, alt und jung, Mann und Weib. Nur die kleinen Kinderln sind zurückgeblieben und die ganz schwachen Greise. Ich traf ein alts Mutterl, welche es mir sagte.“
„Ist denn etwas los?“
„Jawohl! Ein Unglück. Es hat gestern einen Felsensturz geben.“
„Sind Leute verunglückt?“
„Einheimische nicht, aber zwei Fremde. Ein großer Musikmeister aus Wien hat sich die Alpen anschaun wollen und ist gestern früh ohne Führer hinauf. Dann später um Mittag hat es einen großen Donner geben. Da ist der hohe Stein herabgestürzt, und die beiden Leuteln sind nicht mehr vorhanden gewesen. Da hat man gesucht. Ihn, den Musikmeister, haben sie gegen Abend unter dem Schutt hervorgegraben, und sein Weib ist erst heut ganz in der Früh entdeckt worden, droben, wo der Felsrutsch begonnen hat. Dort hängt sie an der Wand. Keiner kann hinauf, weil keine Leiter lang genug ist, und keiner kann herab von der Felsenspitz zu ihr, weil diese nie nicht erreicht worden ist.“
„Herrgott! Lebt sie?“
„Ja. Man hört sie wimmern und rufen.“
„So muß alles versucht werden, sie zu retten.“
„Freilich. Hunderte von Menschen sind oben, aber keiner weiß eine Hilfe. Auch mein alter Vater ist mit der Mutter hinauf. Sie haben ihn hinauf begehrt, weil er der gewandteste Bergsteiger gewesen ist, und vielleicht einen Rat geben kann. Gehst etwa mit?“
„Ja, natürlich.“
„So komm! Aber gleich!“
Sie stand auf und wollte mit ihm fort. Zu ihrer Verwunderung ergriff er den hölzernen Stuhl, auf welchem sie gesessen hatte.
„Willst du etwa den Stuhl mitnehmen?“
„Ja.“
„Wozu?“
„Ja, das weiß ich auch nicht; aber es ist möglich, daß man ihn braucht. Ich kenn den Ort nicht, an welchem die Frau hängt. Kann man ja zu ihr gelangen, so ist es aber doch jedenfalls ihr unmöglich, herabzusteigen; also muß sie abi getragen werden, und dazu ist der Stuhl sehr gut.“
Ohne weiter ein Wort zu sagen, ging er fort. Sie schritt neben ihm her.
Sein ganzes Wesen, seine Sicherheit, sein Selbstbewußtsein, das alles machte einen eigenartigen Eindruck auf sie. Sie sagte sich unwillkürlich:
„Wenn die Verunglückte zu retten ist, so ist er es, der sie rettet.“
Sie schürzte sich hoch und hielt Schritt mit ihm, obgleich er in Beziehung auf die Schnelligkeit gar keine Rücksicht auf sie nahm.
Er hielt zunächst gar keinen gebahnten Weg ein. Es galt, eine hohe, mit kurzem Gras bewachsene Lehne zu erklimmen. Oben auf der Höhe gab es dann einen schmalen Pfad, welcher aufwärts führte. Dort kam ihnen ein Weib entgegen. Als
Weitere Kostenlose Bücher