66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
legte an und brüllte:
„Jetzt ist's aus mit dir! Jetzt hast deinen Lohn!“
Der Schuß krachte. Der Lauf war grad auf Antons Brust gerichtet gewesen. Dieser hatte den Blick scharf auf dem Finger des Jägers gehabt und war im richtigen Moment zu Seite gesprungen, so daß die Kugel nicht traf. Im nächsten Augenblicke aber hatte er dem Jäger das Gewehr entrissen.
„Morden willst mich!“ rief er. „Wart, Bursch, da schau, was ich tu!“
Er hatte das Gewehr beim Lauf ergriffen, holte aus und schlug den Kolben gegen den Boden, daß derselbe abbrach; dann schleuderte er das andere weit von sich, in die Büsche hinein.
„So! An dir will ich mich nicht wieder vergreifen; du bist mir zu schwach dazu. Jetzt hol dir deine Flinten wieder zusammen!“
„Ich zeig dich an, ich zeig dich an!“ antwortete der andere. „Du hast mir das Dienstgewehr zerbrochen, du hast mich geschlagen, mich, einen Mann im Amt.“
„Das hab ich getan. Die Ohrfeigen hast erhalten, weil du ein braves Dirndl verschumpfen hast, und die Büchsen hab ich zerbrochen, weil du auf mich geschossen hast. Jetzt nun mach die Anzeig, wir wollen sehen, wer recht behält und wer seine Straf bekommt.“
„Du, du bekommst die Strafe! Ich arretiere dich! Du gehst mit mir! Augenblicklich!“
Er ergriff Anton beim Arm. Dieser blickte ihn an, wie ein Mann einen Knaben mitleidig ansieht, schüttelte ihn von sich ab und sagte lachend:
„Was meinst? Mich willst verarretieren? An mir willst dich vergreifen? Wer bist denn eigentlich? Ich bin der Krickel-Anton und freß zehn solche Kerls, wie du einer bist! Rühr mich nicht wieder an, sonst werf ich dich in die Höhe, daß du in der Luft hängen bleibst!“
„Probier's doch, ob ich hängen bleib!“
Der Jäger faßte in seiner Wut wieder nach ihm. Da aber ergriff Anton ihn am Gürtel, hob ihn empor und schleuderte ihn weit in die Büsche hinein. Dann setzte er seinen Weg fort, ohne sich nur ein einziges Mal umzusehen. Er wußte, daß der Besiegte ihm nun nicht nachkommen werde, und es war ihm ganz gleichgültig, ob derselbe Schaden genommen habe oder nicht.
Als er aus dem Gebüsch heraustrat, lag drüben die Alp im Sonnenstrahl vor ihm. Sein scharfes Auge erkannte Leni, welche bei ihren Kühen zu schaffen gehabt hatte und soeben in das Innere ihrer Hütte trat. Er legte die Hände an den Mund, um ihr einen frohen Jodler zuzusenden, ließ sie aber wieder sinken. Es dünkte ihn viel schöner, ganz unerwartet zu ihr heranzutreten und sie zu überraschen. Darum sprang er schnell, um ja nicht von ihr gesehen zu werden, über die Blöße hinüber und eilte dann den Weg in das Dorf hinab.
Er richtete es so ein, daß er quer durch einige Gärten kam und von niemandem gesehen wurde. Jetzt hatte er das Dorf hinter sich und stieg nun den Bergpfad empor, welcher ihn zur Alm führte.
Kein Mensch begegnete ihm. Er erreichte die Höhe und bemerkte, daß Leni sich noch immer im Innern der Sennhütte befand. Aber oberhalb dieser letzteren saß noch ein zweites Mädchen. Es war diejenige, welche der Bauer als Nachfolgerin Lenis bestimmt hatte.
Anton schlich sich zum Häuschen heran, duckte sich nieder, um nicht durch das Fenster gesehen zu werden, und lauschte. Drinnen ließ sich die Stimme der Sennerin liebkosend vernehmen:
„Matz, mein lieber Matz, jetzt siehst mich halt wohl zum letzen Mal. Das ist so traurig, nicht war? Wir sind so gute Kameraden gewest und haben uns was vorgesungen und vorgepfiffen, wann uns das Herz mal traurig war. Ich tät dich so gern mitnehmen, aber das geht doch halt nicht an. So wirst noch hier bleiben müssen; aber ich hab's der Bertha auf die Seel gebunden, daß sie dich nicht darben läßt, du liebes Vögerl du!“
Es wurde dem Lauscher so eigentümlich zumute, fast ängstlich. Was war denn das? Sie nahm Abschied von ihrem Finken?
Anton trat ein. Leni stand inmitten der Hütte und hatte den Vogelbauer in der Hand. Ringsum lagen ihre Sachen, ganz so, als ob sie mit dem Einpacken derselben beschäftigt sei. Sie erblickte ihn und erschrak so, daß sie fast den Vogelkäfig fallen ließ.
„Jesses, der Anton!“ rief sie aus.
„Du erschrickst vor mir?“ fragte er befremdet. „Bin ich seit in der Nacht so viel anders geworden, fürchterlicher, Leni?“
„O nein! Aber ich hab nicht geahnt, daß du jetzt zu mir kommen werdest.“
Er blickte in dem kleinen Raum umher.
„Was hast?“ fragte er. „Was geht vor? Ich vernahm von draußen deine Red. Das klang ganz gradso, als ob du von
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