66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
erfahren, daß wir sie belauscht haben.“
„Was sie denken sollen? Daß ich ihre Freundin bin und daß sie mir zu meinem neuen Roman ein Sujet geben, welches gar nicht herrlicher sein kann. Ich muß hin, ehe sie fortgeht.“
„Nein, du bleibst! Brauchst doch den Roman nicht hier im Wald zu machen!“
„Grad hier im Waldesgrün kommen einem die besten Gedanken!“
„Das scheint nicht so! Daß du hier ausbrechen willst, das ist gar kein guter Gedanke.“
„O doch! Schau, nun ist sie leider fort, und er wickelt die Blumen ein. Ich muß hin!“
Sie riß sich los und trat heraus auf die Blöße. Helles Entzücken glänzte auf dem Angesichte des Wasserfex. Er wurde leider aus demselben gerissen, indem die Dichterin sich ihm leise genähert hatte und die Hand auf seine Schulter legte.
Er fuhr erschrocken zu ihr herum.
„Wer bist? Was willst?“ fragte er.
„Wer ich bin?“ meinte sie, sich hoch und stolz emporrichtend. „Ich bin eine Priesterin der himmlischen Muse, welche Gedichte macht und Romane drucken läßt.“
Er starrte sie verständnislos an und sagte:
„Bist wohl verrückt?“
„Verrückt? Nein. Aber es kommt der Geist über mich, so daß ich in Versen und Reimen reden muß. Höre und staune!“
Und die Rechte mit dem Tintenfaßsonnenschirm hoch erhebend, deklamierte sie laut:
„Hier steht unser Fex,
Im Ringen ein Rex,
Die Paula – eine Hex
Und der Fingerl-Franz – ein Klex!“
Lautes Lachen erscholl. Der Konzertmeister hatte es nicht verbeißen können. Er trat vor und der Wurzelsepp folgte ihm.
„Was lachen Sie?“ fragte sie in strengem Ton. „Meine Muse ist keine lächerliche. Sie verzeichnet die Taten der Menschenkinder mit ehernem Griffel in ihr Memorandum. Und als ihre Beauftragte notiere ich über diesen jungen Helden folgendes.“
Sie schlug ihr Buch auf, nahm die Feder hinter dem Ohr hervor, tauchte sie in den silbernen Knauf des Schirmes, schrieb einige Zeilen und las dann:
„Der Fex rang mit dem Fingerl-Franz
Und warf ihn nieder mit viel Glanz.
Wen der mit seinen Fäusten packt,
Der hat am ganzen Leib geknackt!“
Darauf blickte sie sich triumphierend um und fragte den Italiener:
„Nun, Signor, ist das nicht einzig?“
„Einzig, ja“, antwortete er. „Einzig, solamente, unicamente, ßehr, ßehr, Signora.“
„Und du, was sagst du dazu, du hochpoetischer Sohn dieser Berge?“ fragte sie den Wurzelsepp.
„Ich sag halt einstweilen gar nix dazu!“
„Du hast das gute Teil erwählt. Schweigen ist Gold! Und du, des Tages Held und Recke?“
Diese Frage galt dem Fex. Er machte ein unbeschreiblich dummes Gesicht, deutete mit dem Finger an die Stirn und antwortete kopfschüttelnd:
„Bist ein armes Wurm. Kannst mich dauern. Was habe ich von deinem Muß!“
„Muß!“ lachte sie. „Welch eine urwüchsige Verwechslung! Du gleichst den gefeierten Recken des grauen Altertums. Sie kämpften furchtlos mit Drachen und Ungeheuern, ohne in die Heiligtümer der Gelehrsamkeit eingedrungen zu sein. Du bist ein würdiger Enkel von ihnen. Ich muß dir das Wort des Dichters entgegenrufen: ‚Dem Verdienst seine Kronen!‘ Komm her zu mir, trauter Fex! Ich muß dich küssen!“
Sie streckte die Arme nach ihm aus. Er aber sprang ganz erschrocken zurück und rief aus:
„Himmelsakra! Was will die mit mir! Fangt sie ein, und sperrt sie hinein ins Spritzenhaus!“
Der Konzertmeister lachte, daß ihm die Tränen aus den Augen liefen. Die Dichterin aber rief entzückt:
„Welch ein köstlicher, urweltlicher Gedanke! Welch geistreiche Persiflage auf die göttlichen Musen! Welch ein granitner Witz eines vorsündflutlichen Geistes! Sie lachen, Herr Konzertmeister. Sie begreifen also die himmlische Ironie in der Interjektion dieses von der Sünde noch nicht abgeleckten Helden. Ist er nicht unvergleichlich, unerreicht?“
„Ja, unvergleiklik, unerreichtet, incomparabile, imparagonabile, inarrivabile, ßehr, ßehr, außerordentlik ßehr!“
„Ja, wenn ich einen Lorbeerkranz hätte, ich würde seine Stirn mit demselben schmücken und krönen. Da wir uns aber nicht im Land der Hesperiden befinden, so wird's auch eine Fichte tun.“
Eine kleine Fichte stand in der Nähe. Sie brach einen Zweig derselben ab, bog ihn rund zusammen und machte Miene, ihn dem Fex auf den Kopf zu setzen. Dieser aber stieß sie von sich und sagte:
„Fort! Geh ins Irrenhaus!“
„Wie? Ins Irrenhaus? So habe ich ihn also nicht verkannt, sondern ihn ganz richtig beurteilt. Er wird für einen Idioten
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