66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
will, aber ein Ordensknöpferl bekommt er halt nicht.“
„Desto größere Teilnahme fühle ich für ihn. Ich muß ihn unbedingt näher kennenlernen.“
„So hüt dich nur, ihm wieder einen Busserl anzubieten. Bei dem nagelst keinen an; das sag ich dir. Er find keinen Geschmack an solchem Larifari.“ –
Der Fex hatte recht gehabt, als er beim Fehlen der Fähre den Namen des Fingerl-Franz genannt hatte. Dieser hatte mit größter Selbstüberwindung seine Wut hinabgewürgt und die Rache auf später verschoben. Er hatte darum den Kampfplatz verlassen, ohne den Kampf mit der einen, unverletzten Hand fortzusetzen, und war hinab nach dem Fluß gegangen, um nach der Mühle überzufahren.
Die Fähre lag hüben am diesseitigen Ufer, an welchem sich ja auch der Fex befand. Beide Ruder zu führen, das war dem Franz jetzt unmöglich. Er sprang hinein, band die Fähre los und setzte sich ans Steuer. So erreichte er das andere Ufer; freilich weit unterhalb derjenigen Stelle, an welcher gewöhnlich angelegt wurde. Statt nun die Fähre zu befestigen, sprang er heraus und ließ sie abwärts treiben, um den Fex einen Streich zu spielen. Er wußte, mit welcher Härte derselbe von dem Müller, welchem die Fähre gehörte, behandelt wurde.
Jetzt nun begab er sich nach der Mühle.
In dem Parterre des einen Gebäudes befand sich rechts die Wohnstube und links die Restauration. Auch in dem Blumengärtchen vor derselben standen Tische und Stühle für die Badegäste, welche an schönen Tagen nach der Mühle kamen, um Waldluft, Speise und Trank zu genießen, sich an den berüchtigten Grobheiten des Wirtes zu erheitern und – der schönen Müllerstochter einen freundlichen Blick in die herzigen Augen zu werfen.
Auch jetzt saß ein solcher Gast in dem Gärtchen.
Als der Fingerl-Franz vorüberging, zog er seinen Hut. Er kannte den Herrn.
„Guten Morgen, Herr Kapellmeister“, grüßte er.
„Guten Morgen“, dankte der Gegrüßte. „Kommen Sie vielleicht aus dem Wald?“
„Ja.“
„Sind Ihnen Spaziergänger begegnet? Ich warte nämlich auf den Konzertmeister Rialti.“
„Hab nix gesehn.“
Damit trat er in das Haus und dann rechts in die Wohnstube. Diese war sehr altmodisch ausgestattet. Ein riesiger Kachelofen stand in der einen Ecke, in der andern ein so großes Sofa oder vielmehr Kanapee, daß vier Personen auf demselben hätten schlafen können. Eine alte Wanduhr mit deckenhohem Kasten, mehrere Teller- und Schlüsselbretter, ein großer, eichener Ausziehtisch nebst ebensolchen Stühlen – so sah es in der Stube aus, deren Fenster nicht mit Vorhängen versehen waren. Auch einen Spiegel gab es nicht. Die Diele war gescheuert und mit duftigen Tannen- und Fichtenzweigen belegt.
Am Tisch stand ein breiter, bequemer Polsterstuhl, welcher auf Rollen ging. In diesem saß der Müller, eine starke Gestalt, jetzt aber zusammengefallen und von der Gicht geplagt. Seine Beine waren mit Watte dick umwickelt und die Füße steckten in unförmigen Filzstiefeln. Auf dem Kopf trug er eine braunwollene Zipfelmütze, und der Oberleib wurde von einer sogenannten Filzjacke eingehüllt. Das Gesicht war grob, wie aus Holz zugehackt. Härte, Härte und immer wieder Härte war das einzige, was man aus diesen Zügen zu lesen vermochte. Es schien unglaublich zu sein, daß dieser Mann der Vater Paulas war.
Neben sich, an der Armlehne des Stuhls, hatte er eine alte Klarinette hängen, während die rechte Hand mit einer Peitsche spielte, deren Stiel kurz, die Schnur aber desto länger war, so daß sie bis in die entfernteste Ecke reichte.
Diese Peitsche war das Zepter, mit welchem der Müller regierte. Er konnte nicht vom Stuhl auf, also leitete er von demselben aus seinen Haushalt und sein Geschäft. Die Peitsche war sein Dolmetscher, wenn er es nicht für nötig hielt, ein Wort zu sprechen. Und alle kannten die Stimme dieses Dolmetschers genau. Vom leisesten Schmitz durch die Luft bis zum stärksten Klatschen und Knallen um die Beine irgendeines lässigen Dienstboten gab es eine Stufenleiter als Ausdruck aller Gefühle des Müllers, von der wohlgefälligen Zustimmung bis hinauf zum höchsten Grimm. In seinem Haus gab es keine Person, welche nicht bereits die Peitsche gekostet hätte. Mancher neu eintretende Dienstbote nahm sich vor, beim ersten Hieb fortzugehen; aber der Müllers zahlte so gute Löhne und die Verpflegung war um so viel besser als in andern Häusern, daß man sich bald an das eigenartige Zepter gewöhnte. Sehr viel trug
Weitere Kostenlose Bücher