67 - Der Weg zum Glück 02 - Die Dorftyrannen
Pastellstifte mitgebracht und werde ihm zeigen, wie man damit umzugehen hat. Und damit er einen Faden besitzt, nach welchem er sich richten kann, will ich ihm ein Gedicht diktieren über ganz denselben Gegenstand, über welchen er ein Bild anfertigen soll. Bitte, Hans, nehmen Sie Papier her, und schreiben Sie sich folgendes auf:
‚Die heimatlose Fanna.
Es treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.
Er breitete die Netze aus
Im klaren Mondesschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
Und träumte sich allein.
Da rauscht es aus den Fluten auf
So geistergleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
Und ward nicht mehr gesehn.
Nun treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wann auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.“
Der Lehrer hatte keine Ahnung, welchen Einfluß dieses Gedicht, dessen Verfasser er selbst war, da er es augenblicklich improvisierte, ohne es sich merken zu lassen, auf die spätere Gestaltung seines Lebens haben sollte.
Hans schrieb die Strophen nieder und erhielt dann eine kurze Unterweisung über die Anwendung der Pastellstifte. Dann trug Lisbeth das Essen auf, an welchem Walther teilnehmen mußte. Er tat dies ohne Zögern, da er wußte, daß der Finken-Heiner jetzt nicht mehr zu hungern brauchte.
Nach dem Essen ließ Hans sich seinen Stuhl in die Stubenecke schieben, und der Lehrer begann zu erzählen. Die alte Balzerbäuerin kam herauf und setzte sich auf einen Schemel, um ihm zuzuhorchen. Ihr geisteskranker Sohn war dabei. Er hockte sich gleich auf die Stubendiele nieder und wandte kein Auge von dem Sprecher.
Gegen zehn Uhr endlich verabschiedete sich Walther und erhielt von Hans das Versprechen, daß dieser gleich morgen früh mit seiner neuen Arbeit beginnen werde. Nachdem er allen die Hand gegeben hatte, ging er.
Er hatte von der Flachsdörre weg noch nicht die Dorfstraße erreicht, so hörte er einen leichten, schnellen Schritt hinter sich. Er blieb stehen und blickte sich um. Es war der verrückte Balzerbauer, der ihm nachgeeilt kam. Derselbe ergriff ihn beim Arm und flüsterte ihm zu:
„Freund – guter Freund!“
„Ja“, antwortete der Lehrer. „Ich bin dein Freund, ich meine es gut mit dir.“
„Feind – böser Feind!“
Bei diesen Worten deutete er nach dem Dorf aufwärts.
„Wen meinst du?“
„Feind.“
„Wer ist's?“
„Böser Feind. Komm!“
„Wohin?“
„Du ihn sehen.“
„Wo?“
„Dort, dort!“
Er deutete wieder in die bereits angegebene Richtung. Das Verhalten des Verrückten kam dem Lehrer ungewöhnlich vor. Seine Mutter hatte gesagt, daß er kein anderes Wort sage als „Nimm's hin, nimm's hin! Ich sag halt nix! Gnade, Gnade!“ Und jetzt sprach er auch andere Worte. Wie kam das? War dem geistig Gestörten vielleicht gerade jetzt eine lichtere Stunde gekommen? Das mußte benutzt werden.
„Ich soll mitgehen?“ fragte Walther.
„Komm!“
Der Irre antwortete auch auf alle weiteren Fragen gar nichts, als was er bisher geantwortet hatte. Walther merkte, daß er nur das eine Verlangen habe, seinem ‚guten Freund‘ den ‚bösen Feind‘ zu zeigen. Welchen Nutzen aber konnte das haben? Gar keinen.
„Geh nach Haus!“ sagte er darum.
Aber als er Miene machte, sich abzuwenden, ergriff ihn der Wahnsinnige wieder beim Arm und bat in dringlichem halblautem Ton:
„Komm, komm!“
„Warum denn?“
„Licht, Licht!“
Das war wieder ein neues Wort. Der Mann schien sich mehr Vorstellungen in seine geistige Nacht hinübergerettet zu haben, als man glaubte. Was aber meinte der mit dem Licht?
„Wer hat Licht?“ fragte Walther.
„Feind.“
„Wo?“
„Dort.“
„Freilich hat er Licht brennen. Aber laß es doch brennen. Es stört dich nicht. Geh nach Hause!“
Walther sagte sich, daß unter dem Feind jedenfalls der Silberbauer gemeint sei. Der Irre wollte ihm wohl zeigen, daß der Feind in seinem Gut Lichter brennen habe. Das war so eine kindische, irre Idee, wegen der man keinen Schritt zu machen brauchte. Darum wollte er den Balzerbauern von sich schieben. Dieser aber hielt sich an seinem Arm fest und sagte in wirklich flehendem Ton:
„Guter Freund! Komm, komm!“
„Nein. Geh!“
„Feind sehen!“
„Ich habe ihn schon gesehen.“
Der Irre blickte ihm sinnend in das Gesicht. Jedenfalls bemühte er sich, irgendeinen Gedanken zu finden. Dann sagte er:
„Wasser?“
Er sagte dieses Wort in so fragendem Ton, daß der Lehrer doch zu der
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