68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
in welches er damals den Finken-Heiner gestürzt hatte.
Das Wasser rauschte aus dem Graben auf die Holzleitung und von da auf das Rad. Dieses drehte sich, aber nicht mehr so rasch wie zuvor.
Die Frau rief laut um Hilfe, der Sepp auch. Der König riß das Fenster auf und blickte heraus. Der Lehrer verlor keinen Augenblick lang die Geistesgegenwart. Ohne einen Ruf des Schreckens auszustoßen, rannte er am Damm hin, nach der Mühle zu, zur offenen Haustür hinein, durch den spärlich erleuchteten Flur und riß die Stubentür auf. Da saß der Müller mit dem Heiner, der Lisbeth und der Barbara am Tisch.
„Schnell die Mühle stoppen!“ rief er ihnen zu. „Es ist einer unters Rad gekommen!“
Der Müller sagte kein Wort. Er fuhr blitzschnell zur Stubentür heraus, drüben zur Mühlentür hinein – im nächsten Augenblick war es beim Räderwerk totenstill; die Mühle stand.
„Wer ist hinein?“ fragte der Heiner.
„Der Silberbauer.“
„O Gott! Der! Rasch, rasch! Leitern her!“
Der Verunglückte war sein Todfeind, und doch war er sofort zur Hilfe bereit. Er ergriff den Lehrer am Arme und riß ihn mit sich fort, hinter die Mühle, wo, wie er wußte, die Leitern lagen.
„Bringt Lichter und Laternen!“ rief Walther den beiden Frauen noch zurück.
Jetzt kam der Müller aus der Mühle und zu gleicher Zeit der König von oben herab.
„Leitern, Leitern!“ befahl der letztere.
„Der Heiner und der Lehrer sind schon nach“, antwortete die Barbara.
„Dann schnell Lichter!“
Die wurden geschafft, und dann begaben sie sich nach dem Radlager, das heißt nach dem Mauerwerk, zwischen welchem sich das große Triebrad bewegt.
Dieses letztere stand. Das Wasser rauschte über dasselbe herab. Man leuchtete in die Tiefe. Das Licht konnte nicht bis hinab dringen.
„Die Leitern hinein!“ befahl der König.
Zwei wurden hinuntergelassen. Der Heiner wollte als erster hinab.
„Halt!“ sagte der Lehrer. „Sie haben nur einen Arm, hier aber sind wenigstens vier Arme nötig. Ich steige mit dem Müller hinab.“
Die beiden nahmen jeder eine Laterne und verschwanden in der Tiefe.
„Ist er zu sehen?“ fragte der König.
„Ja“, antwortete der Müller. „Hier liegt er im Wasser.“
„Ertrunken?“
„Ertrunken kann er nicht sein. Das Wasser ist nicht tief, und der Kopf liegt über demselben.“
„Aber tot?“
„Ich weiß nicht. Herr, mein Heiland! Es fehlt ein Arm!“
„Bringt ihn herauf!“
Sie brachten ihn, langsam und vorsichtig. Droben legten sie ihn nieder. Ja, es fehlte ihm der linke Arm, aber es war keine Spur von Blut zu sehen. Der König bückte sich nieder und untersuchte ihn.
„Er lebt!“ sagte er. „Er ist zwischen Rad und Mauer gekommen, und das erstere hat ihm den Arm glatt herausgedreht, daß sogar die Adern geschlossen worden sind.“
Einige Augenblicke lang standen die anderen wortlos. Dann entfuhr es dem Lehrer:
„Herr, dein Strafgericht ist gerecht!“
„Wieso?“ fragte der König.
„Dieser Mann hat vor Jahren unseren braven Heiner hier an ganz demselben Ort hinabgestürzt. Das Rad hat dem Heiner den Arm zermalmt. Heut ist der Täter bestraft worden.“
Es graute allen. Dem alten Finken-Heiner liefen die Tränen über die Wangen.
„Lebt er?“ erklang eine halblaute Frage hinter den Männern.
Sie blickten sich um. Die fremde Frau stand da, mit verhülltem Gesicht.
„Er lebt“, antwortete der Lehrer. „Wer sind Sie?“
„Ich bin niemand. Gute Nacht!“
Sie verschwand schnell im Dunkel des Abends.
„Und wer sind Sie?“ fragte der König Walther.
„Ich bin der hiesige Lehrer.“
„Ah, der sind Sie! Haben Sie heute ein Manuskript verloren?“
„Leider, unbegreiflicherweise.“
„Ich habe es gefunden. Sie sollen es wiederhaben. Jetzt aber vor allen Dingen muß der Verunglückte heimgeschafft werden.“
„Wird er's aushalten?“ fragte Walther.
„Ich hoffe es, da die Wunde nicht blutet. Dann muß sofort ein reitender Bote mit zwei Pferden nach der Stadt, um den Arzt schleunigst zu holen.“
„Das will ich halt ausrichten“, rief der Sepp und sprang eiligen Laufes davon.
Die anderen hoben den Bauer auf und trugen ihn nach der Vorderseite der Mühle. Der Müller ging, um eine Trage zu holen. Da standen die anderen still beieinander.
„Wie hat das nur geschehen können?“ fragte der König.
Der Lehrer wollte es erzählen, wenigstens so viel zur Erklärung nötig war, ohne das andere zu verraten:
„Ich ging mit dem Sepp am Wasser her
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